Die Hamburger Kunsthalle zeigt in einer Sonderausstellung die verflossene Utopie vom „Neuen Menschen“
von Jule, bjo:rn und rosè
Vorab die Problemlage: Wir kamen zu spät, und Ihr müßt Euch nun beeilen! Zu spät schafften wir es in die Ausstellung „Müde Helden“, die nur noch bis zum 13. Mai 2012 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen ist. So können wir erst jetzt jedem Jugendbewegten die Sammlung mit Werken von Ferdinand Hodler, Alexander Deineka und Neo Rauch wärmstens empfehlen.
1913 widmete der Maler Fidus den jugendbewegten und lebensreformerischen Scharen des „1. Freideutschen Jugendtags“ das Bild „Hohe Wacht“. Nackte, nur mit dem Schwert gegürtete Jünglinge mit langem, offenem Haar stehen trutzig und mit umschlungenen Händen im Halbrund nach außen gewandt. Vor ihnen am Boden umfassen träumerisch zwei Frauen eine Eichengirlande.
Es waren Bilder wie diese, in denen sich der ersten Meißnergeneration ihr Wollen und Streben nach einem „Neuen Menschen“ offenbarte. Der Neue Mensch – nicht nur Titel der gleichnamigen jugendbewegten Zeitung von Walter Hammer aus den 1920er Jahren, sondern vor allem lebensreformerisches Sinnbild für die Erlösung des Menschen aus den Klauen der – so schien es den Zeitgenossen – ihn geistig und körperlich verkrüppelnden Großstadt. Stellvertretend für die lebensreformerische Phase des Ideals vom Neuen Menschen stehen die von ergriffener Naturverbundenheit und eigenem Körperbewußtsein getragenen Bilder des Schweizers Ferdinand Hodler, der besonders durch sein Wandbild in der Jenaer Universität „Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813“ bis heute bekannt ist. Nachdem Hodler durch einen kritischen Aufruf gegen die Zerstörung von Kulturgütern durch deutsche Truppen 1914 im Deutschen Reich in Ungnade gefallen war, wurde das Wandgemälde in Jena bis 1919 unter einer Bretterverschalung verdeckt – bis Studenten bei der Freideutschen Führertagung im April 1919 eigenmächtig diese abrissen und Hodlers Gemälde wieder öffentlich machten.
Eine Reproduktion dieses Bildes nebst zwei Vorabskizzen leiten dann auch in die Hamburger Ausstellung ein und zeigen in Gegenüberstellung mit Alexander Deinekas „Die Verteidigung von Petrograd, 1927/28“ die Beeinflussung Deinekas durch Hodler. Durch gezieltes Gegenüberstellen gelingt es der Ausstellung an vielen Stellen die Ähnlichkeiten im Bild des Neuen Menschen zwischen dem Lebensreformer Hodler und dem russischen Avantgardisten Deineka aufzuzeigen. Und doch tritt ein entscheidender Unterschied offen hervor: der Ort von Hodlers Menschen war die Natur, der von Deineka die Industrielandschaft. Hier, in den industriellen Tempeln der Arbeiterklasse sollte sich der Neue Mensch mittels der Wunder der Technik seine neue, bessere Welt selbst schaffen. Bis 1931 gehörte Deineka der russischen Künstlergruppe „Октябр“ an, deren Gründungsmanifest von keiner geringeren Person als dem damaligen Leiter der Kunstabteilung im sowjetischen Ministerium für Volksbildung verfaßt worden war: dem Wandervogel und Meißnerfahrer von 1913 Alfred Kurella.
Während Hodlers wie auch Deinekas Werke stets den idealistischen Glauben an eine bessere Zukunft beinhalten, wirken die Bilder des Gegenwartsmalers Neo Rauch eher verstörend. Aber wie sollte es auch anders sein? In den fragilen Augenblicken der Postmoderne lebend bleibt dem Künstler nach den Ausartungen jener neumenschlichen Ideologien des 20. Jahrhunderts wenig Raum mehr für hoffnungsfrohe Zukunftsvisionen. „Der Neue Mensch kann mir gestohlen bleiben”, sagt Neo Rauch in der im Museum zuletzt gezeigten Filmdokumentation von 2007.
Was nun? Kopf in den Sand? Irrwitziger Tanz auf den Trümmern der Zivilisation? Neo Rauch blickt auf das, was vor ihm war, blickt auf die verdeckten Mythen, „Helden“ und Ideen von uns Deutschen – ernüchternd, müde, ja vielleicht ein wenig melancholisch. Und doch: „Es geht eben genau darum, eine Fassung zu finden für all das, die uns Fassung sein kann in unsrer Fassungslosigkeit“.
Fidus ist tot. – Wird uns Neo Rauch eines seiner Bilder zum Freideutschen Jugendtag 2013 widmen?
Abschließend noch weitere bewegte Bilder zu Hodler und Deineka sowie von der Ausstellungseröffnung.