Lebensreform in der Mark

Den Anfängen der Lebensreform in der Mark Brandenburg widmete sich nicht nur das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, sondern auch die Zeitschrift „Die Mark Brandenburg“ mit ihrer kürzlich erschienenen Ausgabe. Die Themen ähneln jener der Ausstellung. Aufgrund der abweichenden Autoren und der gestrafften Texte ist das Heft jedoch eine gelungene Ergänzung oder sogar geeignet zur Einführung in den Themenkomplex.

Zum Einstieg stellt Edgar Meyer-Karutz den Friedrichshagener Dichterkreis vor. Dieser Kreis von Naturalisten entstand um die Schriftsteller Wilhelm Bölsche und Bruno Wille zur Zeit, als das kleine Kolonistendorf vor den Toren Berlins noch nicht eingemeindet worden war. Der Wirkungskreis der Friedrichshagener beschränkte sich nicht nur auf die naturalistische Schriftstellerei. Aus der Gruppe heraus entstanden und reiften Ideen, die in der Gründung der Volksbühne und der „Freien Hochschule Berlins“ als Vorläufer der Volkshochschulen  mündeten. Einige engagierten sich zudem in freireligiösen bzw. freidenkerischen Kreisen.

Einem weiterem Projekt, welches stark mit dem Friedrichshagener Kreis verknüpft ist, widmet sich Friedrich Wolff. Die Obstbausiedlung Eden wurde insbesondere von Franz Oppenheimer und Paul Schirrmeister initiiert. Das Besondere an diesem Projekt ist die Tatsache, daß sich die Siedlung zumindest substanziell bis heute erhalten hat. Aber auch die neuen Bauvorhaben lassen eine nachhaltige, sprich: „gemeinnützige“ Motivation erkennen. Eden lebt. Die vom Autor angepriesenen Jahresfeste sind daher gewiß als Einladung zu verstehen.

Der nächste Artikel widmet sich der Jugendbewegung in Brandenburg, und dieses Thema dürfte den meisten Lesers dieses Blogs am vertrautesten sein. Susanne Rappe-Weber umreißt hierin die Entstehungsgeschichte der Bewegung und erwähnt dabei ganz nebenbei ein kleines Detail, welches den Wandervogel selbst zum brandenburger Urgewächs macht. Jener entstand nämlich nicht, wie oft angenommen, in Berlin-Steglitz sondern in Steglitz bei Berlin, der damals größten Landgemeinde Preußens. Die Autorin ergänzt zudem einen Themenkomplex, der leider weder in der Potsdamer Ausstellung noch in einer der Publikationen gesondert behandelt wurde: Die aus dem Geist des Wandervogels entstandene Jugendmusikbewegung fand in Frankfurt/Oder mit ihrem Musikheim ein Zentrum ihres Schaffens.

Wie schon erwähnt ist das Fidushaus in Woltersdorf Ort von Geschichte und selbst Geschichte zugleich. Das Haus wurde nach Plänen des Künstlers Fidus Anfang des 20. Jahrhunderts im Heimatstil errichtet. Der Artikel von Ute Wermer schildert abweichend vom Titel „Das Fidushaus in Woltersdorf“ eher den „kurvenreichen Weg“ von Hugo aus Lübeck, der auszog, um Fidus aus Wolterdorf zu werden. Doch da sich diese Geschichte ohne das besagte Haus nicht erzählen läßt, fällt dies beim Lesen kaum auf. Konsequenterweise bleibt die aktuellere Geschichte des Hauses unerwähnt (dazu siehe Nachruf im Ausstellungsheft zur Ausstellung).

Die Verknüpfung beziehungsweise Überwindung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, welche die Lebensreform propagierte, wird am deutlichsten in den sogenannten Gartenstädten, die vor etwa einhundert Jahren deutschlandweit entstanden. Ein Beispiel liefert die Gartenstadt Falkenberg südöstlich Berlins, aufgrund der farbenfrohen Fassaden liebevoll auch “Tuschkastensiedlung” genannt, welche von Friedrich Wolff vorgestellt wird. Allein in Berlin sind sechs dieser Siedlungen der Berliner Moderne zum Weltkulturerbe ernannt. Bei einer Vielzahl war der Architekt Bruno Taut involviert.

Der gleiche Autor widmet sich im darauffolgenden Artikel der Siedlung Gildenhall. Im Gegensatz zu den meisten Gartenstädten entstand die Freiland Siedlung Gildenhall fernab einer Großstadt. Ein weiterer Unterschied war ihre handwerkliche Ausrichtung. So ist es auch nicht verwunderlich, daß wesentliche Förderer im damals prägenden Deutschen Werkbund organisiert waren. Die Häuser blieben weitestgehend erhalten, aber die Genossenschaft löste sich im Zuge der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 auf.

Den städtebaulichen Dreiklang beendet Konrad H. Roenne mit einem Artikel zur Friedensstadt Weissenberg. Diese hebt sich von den sonstigen Gartenstädten und Lebensreformsiedlungen wiederum durch ihre religiöse Ausrichtung ab. Im Mittelpunkt der Siedlung stand der Reformer Joseph Weißenberg, dessen einst initiierte Kirche nach vielen Wirren der Zeit wieder Eigentümer der Siedlung mitsamt der zweibogigen Hallenkirche als geistiges Zentrum der Johannischen Kirche ist.

Den Abschluß des Heftes bietet das einstige Freikörperzentrum am Motzener See. Edgar Meyer-Karutz, der auch schon ins Heft eingeführt hat, wirft hierzu einen Blick auf den Beginn der FKK-Bewegung. Der hierfür genutzte Mikroblick auf den Motzener See könnte auch exemplarisch für die Spaltereien und Entzweiungen in jugendbewegten Kreisen sein. Denn nachdem die einen Nacktheitsfreunde „Freisonnland“ gründeten, wendeten die anderen sich ab und gründeten nahebei „Neusonnland“. Mittlerweile sind die Nackten wieder vereint, auf einem Vereinsgelände nur für Nackte selbstverständlich.

Info: Dieses Einzelheft oder ein Abo gibt es hier: Die Mark Brandenburg, Zeitschrift für die Mark und das Land Brandenburg, ISBN 978-3-910134-72-0, Einzelheft 5 € zzgl. Versand, Jahresabo 23,50 € inkl. Versand.

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  1. [...] Lebensreform in der Mark « bündische vielfalt . Dieser Beitrag wurde am 15. Februar 2016 von Mittelwaechter in Lebensreform veröffentlicht. [...]

  2. Dieser Beitrag wurde zitiert von Lebensreform in der Mark (Zeitschrift) | Lebensreform.jetzt sagt:

    [...] Blog Bündische Vielfalt hat mich auf die Zeitschrift „Die Mark Brandenburg“ aufmerksam gemacht, die in der [...]

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