Gedanken zum überbündischen Kirschenfest 2009

Kirschenfest
Der Bauer sprach, will selber seh’n,
will selber in die Kammer geh’n…

von die Tiger

Schon während der Hinfahrt zum Ludwigstein sinnierte ich über den Skandalon, der mich hat losfahren lassen. Neben dem Wunsch, Kempin erleben zu wollen, bin ich getrieben, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren hören zu müssen, was mein Herz nicht glauben will. Bündisch UND (neo-) nazistisch? Das passt nicht, schon per definitionem nicht!

Die Situation ist aber noch konfuser, denn Angst begleitet mich. Angst, geächtet und mental gesteinigt zu werden von ‘den Meinen’, weil ich es gewagt habe, mich mit ‘Denen’ (die während eines Vortrages zu den „Neu-Rechte in den Bünden“ genannt worden waren) zu treffen. Zu treffen, zu reden, zu diskutieren, zu singen und zu feiern.

Die Absurdität(?) solcher Gedanken lässt meine Wut über die unglückselige Situation weiter hoch kochen. Ich will jetzt wissen, worum es geht, um wen es geht. Angekommen an der Burg weist eine Gitarre mir den Weg zu den Kirschenfestlern und tolu begrüßt mich persönlich, holt mich an den Abendbrottisch. Mir allesamt unbekannte Personen laden mich ein mitzuessen, ein Schlückchen Wein zu genießen; wir stellen uns vor. Tilia ‘kenne’ ich schon von der Balduinstein, rosé über den Pfadfinder Treffpunkt. Neben CP-Lilie und BdP Abzeichen sehe ich die Symbole derer, deren Namen nicht genannt werden dürfen und ich komme mir komisch vor mit quitsch-pinken Puma Turnschuhen und hellblauer Outdoor-Jacke. So sitze ich inmitten einer munteren Schar aus Laninger, Freibund, Gildenschaft, Deutschem Mädelwanderbund und Fahrender Gesellen, die sich jedoch daran nicht stört.

Jemand kommt aus Düsseldorf und die Stimmung lockert sich durch einen Hinweis auf die “Verbotene Stadt”, der mich als kölsche Seele verrät. Frotzel-Gefechte auf neutralem Boden, die die Tür öffnen, sich auch über “Das Buch” und “Den Blog” zu unterhalten. Ich gebe unumwunden zu, dass ich einige Stellen des Buches als Übergriff auf die Privatsphäre empfunden habe, die überschießend Zusammenhänge aufzeigen, die geeignet sind, Existenzen zu zerstören. Warum genau an dieser Stelle so ein Engagement, habe ich mich bei der Lektüre gefragt und sitze ‘ihr’ nun gegenüber. Das personifizierte Böse im Engelskostüm? Wohl kaum! Sippenhaft? Lehne ich ab.
Die Singerunde am Feuer unter sternklarem Himmel ist entspannt. Wir singen viele Lieder gemeinsam und doch stelle ich wieder einmal fest: egal, wie viele Lieder ich schon kenne, immer gibt es noch drei Sack voll, die unbekannt und des Lernens wert sind. Ich genieße die saubere Mehrstimmigkeit bei fast allen Liedern, doch als es mir zu introvertiert-romantisch-ruhig wird, appelliere ich daran, etwas “Lustiges” zu singen und es folgen einige Zugvogel Lieder; Sardegna mittlerweile bündisches Urgestein. In den Pausen fliegen Worte wie Bälle spielerisch von einem zum anderen.
Sicherlich beobachten wir uns, denn durch meinen Artikel im Stichwort (http://www.jugendburg-balduinstein.de/upload/pdf/bericht_tiger.pdf) und durch meine Einträge im Pfadfinder Treffpunkt bin auch ich ihnen ein Begriff. Doch fühle ich mich nicht voreingenommen belauert in dieser Gruppe, sondern eher kritisch begutäugelt. Vogelzwitschern und Sonnenaufgang gemahnen uns um kurz nach sechs, schlafen zu gehen, doch ein Satz begleitet mich: Tiger, wo sind wir hingekommen, wenn man nicht einmal mehr sicher sein kann, dass Gespräche aus der Feuerrunde vertraulich bleiben? Genau, in der Sauna und am Feuer ist man ehrlich, es bleibt vertraulich; so sehe ich das auch.

Während des Samstags kommt es immer wieder zu kleinen Dialogen über Innensicht und Außenwirkung von Taten, Zeichen und Beschlüssen. Schon nach der Darstellung der Verstrickungen der betroffenen Bünde zu den Neuen Rechten oder zu Neonazis habe ich mich gefragt, an welchem Punkt die Glaubwürdigkeit gegeben ist, Änderungen als inhaltlich sachlich motiviert zu akzeptieren. Immer hieß es “nur auf Druck von außen”, “erst als eindeutig nachgewiesen war, dass…” etc. hat sich was geändert hat. Dennoch erinnere ich mich, wie schwer es ‘den Bündischen’ gefallen ist, und meines Erachtens auch immer noch fällt, Pädophilie in den eigenen Reihen anzugehen, weil persönliche Verstrickungen und Freundschaften eine Rolle spielen. Ich persönlich bin also gleich überzeugt, dass die Spaltung des Freibundes ein intern schwer durchzusetzender Schritt war und bei einigen ein freudiges ‘endlich sind wir den historischen Ballast’ los (Anm.: kein wörtliches Zitat!) durch die Reihen der damals jüngeren ging. Auch das Argument, man könne nicht sein Leben lang so tun als sei man bündisch, allein um Leute anzuwerben, finde ich nachvollziehbar, zumal ja auch der Vorwurf in der Luft liegt, dass besagte Gruppen sich immer isolierten.

Viele andere Themenpunkte werden im Laufe des Tages angerissen. Da ich jedoch nicht “Das Buch” dabei habe und mir auch keine Liste der Fragen gemacht habe, die ich schon immer beantwortet haben wollte, bleibt alles willkürlich und aus dem Moment heraus gelenkt. Irgendwie herrscht der einhellige Gedanke vor, das Kirschenfest nicht aggressiv überlagern zu wollen. Überhaupt: bad vibrations liegen im meinem Umfeld absolut nicht in der Luft. Eher schon schwarzer Humor, der alles ist, was einem manchmal bleibt.

Was die Faktenlage angeht, wer mit wem auf welchem no-go Parteitag war oder sich mit Holocaust-Leugnern getroffen hat, bin ich natürlich kein Jota klüger als zuvor. Aber ich weiß nun, dass ein paar alte Bauernregeln nichts an ihrem Wahrheitsgehalt verloren haben. Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu. Und wie es in den Wald ruft, so schallt es auch heraus.
Mehrfach werde ich mit dem Satz verabschiedet, Tiger, wenn du Fragen hast, egal welche, ich werde sie dir beantworten.

Meinungsfindung und Meinungsbildung waren schon immer schwere Prozesse. Doch sehe ich nun eigentlich keinen Hinderungsgrund, warum nicht meinetwegen bis zum Meißnertreffen 2013 alle kritischen Punkte geklärt sein sollten und jeder, der sich als bündisch definiert, fühlt und lebt auch daran teilnehmen können sollte, ohne dass fiese Ausschreitungen zu befürchten sein müssen.

Ich werde nun also “Das Buch” noch einmal durchlesen und die Fragen zu den Fakten heraussuchen, die die immer noch nicht geklärte Grenze dessen, was jenseits des absolut unmöglichen geht und was nicht geht, überschreiten.


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