Vom Preis der Meinungsfreiheit

volkskammerwahl-1950Heute vor 60 Jahren, am 5. Oktober 1950, wurde der spätere Gildenbruder Karl Miertschischk wegen oppositionellen Verhaltens in der DDR verhaftet und zu 25 Jahren Zwangsarbeit in der Sowjetunion verurteilt.

Eine Erinnerung an oppositionelle Jugendliche in der frühen DDR

Schon in den frühen Jahren der DDR drängte die Staatsmacht auf eine Einebnung der freien Verbände und Institutionen. Nachdem bei den ersten Wahlen in der sowjetischen Besatzungszone die zwangsvereinigte SED die angestrebte absolute Mehrheit verfehlt hatte, verzichtete man anfänglich ganz auf freie Wahlen und umging diese später durch die Bildung sogenannter Blockparteien. Neben den staatlich beförderten Organisationen wie der Freien Deutschen Jugend (FDJ) wurden keine Alternativen geduldet. Studentische und jugendbewegte Kreise wurden verboten, Kritiker verhaftet oder zur Ausreise gedrängt. Mit zunehmender Unfreiheit wuchs der stille Protest.

1948 verteilten Berliner Falken aufgrund von staatlichen Repressionen im Ostteil der Stadt Blätter mit dem berühmten Satz Rosa Luxemburgs:

“Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“

falken-plakatSie werden verhaftet und ohne Prozeß, Zeugen und Verteidigung von einem sowjetischen Militärtribunal (!) zu 25 Jahren Zuchthaus verhaftet. Nach Jahren im Speziallager Nr. 4 in Bautzen werden sie erst zwischen 1954 und 1956 freigelassen. Insgesamt erhielten 60 Falken Gefängnisstrafen bis hin zu 25 Jahren. Trotz des jungen Alters sterben etliche aufgrund der Haftbedingungen – wieder andere, wie der 15-jährige Gruppenleiter Wolfgang Scheunemann, werden von der Staatsmacht erschossen.

Im Vorlauf zur ersten Wahl der Volkskammer kam es im Oktober 1950 vielerorts zu Flugblattaktionen gegen die undemokratischen Praktiken. So verteilte in Leipzig eine Gruppe junger Menschen um den 20-jährigen Studenten Herbert Belter Schriften mit der Aufforderung zu freien Wahlen. Auf dem Rückweg wurden er und seine Mitstreiter verhaftet und dem sowjetischen Geheimdienst übergeben. Belter wurde am 28. April 1951 in Moskau erschossen, wo er bis heute in einem Massengrab beerdigt liegt. Die anderen wurden zu 10 bis 50 Jahren Zwangsarbeit in der Sowjetunion verurteilt.

Das Aufbegehren gegen die Unfreiheiten spitzte sich im Juli 1953 mit dem Volksaufstand in der DDR zu und fand 1961 mit dem Bau der Mauer ein trauriges Ende.

Erst 1955 kamen die letzten Widerstandskämpfer durch Adenauers Zutun aus sowjetischer Gefangenschaft frei. Darunter der Leipziger Student Karl Miertschischk der nach den Schreckensjahren im Straflager Workuta am nördlichen Eismeer in Westdeutschland eine neue Heimat fand und sein Studium beenden konnte. Hier fand er über die Deutsche Gildenschaft zur Jugendbewegung, die ihm bis zu seinem frühen Tod vor nunmehr 35 Jahren Halt und Gemeinschaft bot. Im Nachruf eines Gildenbruders lesen wir:karl-1950

„Über sein Schicksal und seinen beruflichen Weg war er einer der unseren geworden. Voll übersprudelnder Fröhlichkeit in geselliger Runde und voll leidenschaftlichem Engagement in Diskussionen, wenn es um die Freiheit ging, so kennen viele von uns Karl Miertschischk. Im Juni vergangenen Jahres lud er seinen engsten Freundeskreis zu sich ein, als er bereits mit der Krankheit kämpfte, die seinen Körper zerfraß. Er wußte, daß er vom Tode gezeichnet war. Bis in den frühen Morgen saßen wir zusammen und sangen unsere Lieder. Nie war mir so bewußt geworden, was es heißt, wenn wir vom Abschiednehmen und vom Tode singen.

Drei Monate später trugen wir ihn zu Grabe. Von der Göttinger Gilde waren zahlreiche Aktive gekommen. Auf dem Sarg legte ich ihm einen Teil meines Gildenbandes als Zeichen unserer Verbundenheit über den Tod hinaus.“

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(Bildquelle: jugendopposition.de)

Weiterführendes:

 

Birgit Retzlaff: Nachkriegsjugendliche zwischen den Fronten 1945–1949. Rostock 2003, Ingo Koch Verlag, ISBN 3-935319-68-1

Winfried Köhler: Die Hoffnung gab uns Kraft. Berlin 2003, Pro Business, ISBN 3-937343-00-8

Karl-Wilhelm Fricke, Peter Steinbach, Johannes Tuchel: Opposition und Widerstand in der DDR. Politische Lebensbilder. München 2002, C.H. Beck Verlag, ISBN 3406476198

Klaus Peter Graffius, Horst Hennig (Hrsg.): Zwischen Bautzen und Workuta: Totalitäre Gewaltherrschaft und Haftfolgen. Leipzig 2004, Leipziger Universitätsverlag, ISBN 393720976X

Dokumentation: Reise in die Hölle: Straflager Workuta. Dauer: 43 Min., NDR 2004

Dokumentation: Lager des Schweigens – Workuta im Nordpolarkreis. Dauer: 62 Min., Chronos-Film 1990


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