17. Juni 1953 – Vor sechzig Jahren

von bjo:rn

Heute jährt sich der sogenannte Volksaufstand vom 17. Juni 1953 zum sechzigsten Mal. Schon weit vor dem Unruhejahr 1953 ging das DDR-Regime mit aller Macht gegen jegliche Opposition im eigenen Sektor vor. Besonders brisant war diese Situation im geteilten Berlin. Insbesondere die sozialistischen Falken zogen sich als eine der westdeutschen SPD nahestehende Jugendorganisation den Zorn der Machthaber im sowjetischbesetzten Teil zu. Nachdem im September 1948 Ernst Reuter seine berühmten Worte „Ihr Völker der Welt – schaut auf diese Stadt“ sprach, gerieten Demonstranten mit sowjetischen Soldaten und Volkspolizisten aneinander. Auf dem Brandenburger Tor wurde die rote Fahne eingeholt und statt ihrer Schwarz-Rot-Gold aufgezogen. Ein Schuß der Volkspolizei hinein in die demonstrierende Menge traf den 15-jährigen Falken-Gruppenleiter Wolfgang Scheunemann tödlich. Im gleichen Jahr wurden die jungen Ostberliner Falken Günther Schlierf und Horst Glanck beim Plakatieren von SPD- und Falken-Plakaten ertappt und dafür zusammen mit anderen Falken, die sich mit ihnen solidarisierten, zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. Nach mehreren Jahren im Speziallager in Bautzen wurden sie Mitte der Fünfziger entlassen.

Brandenburger Tor 1953: Im Zuge der Unruhen am 17. Juni erklimmen mehrere junge Menschen wie schon 1948 das Brandenburger Tor und hissen dort die Schwarz-Rot-Goldene Fahne. Unter ihnen ein 21jähriger Falke. Derweil gehen im Ostteil Berlins die sowjetischen Truppen und die Volkspolizisten brutal gegen Demonstranten und Schaulustige vor. Über fünfzig, meist junge Menschen, sterben. Viele Demonstranten werden zum Tode oder langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Westberlin 1953: Am 17. Juni verabschiedet sich der neunzehnjährige Gerhard Santura, Elektroinstallateur und Mitglied der Falken, von seinen Eltern, um gemeinsam mit einem Freund am Potsdamer Platz nach der Lage zu schauen. Etwa 20.20 Uhr, 10 Minuten nachdem er sich von seinen Eltern verabschiedet hatte, wird er von einer Kugel ins Herz getroffen und stirbt. Wenige Tage nach den Unruhen in Ostberlin möchten einige Westberliner Jungen am Spandauer Schiffahrtskanal in der Spree baden gehen. Als sie schon entkleidet am Ufer stehen, ruft ihnen ein Vopo vom östlichen Ufer zu, sie sollten besser verschwinden. Dies erwidern die Jungs mit Beschimpfungen und werfen Gegenstände in Richtung des etwa 100 Meter entfernten Wachtpostens. Dieser eröffnet daraufhin das Feuer auf die Kinder und trifft den fünfzehnjährigen Wolfgang Röhling auf der Flucht, schon 100 Meter vom Spreeufer entfernt, in den Hinterkopf. Er ist auf der Stelle tot.

Ostberlin, 1989: Spätestens nachdem Gorbatschow entgegen der sonst aufgezwungenen Winkzeremonien sehr herzlich von uns Berlinern empfangen wurde, spürte man in der Stadt den zaghaften Wunsch nach Veränderung. Ich selbst nahm diese Aufbruchstimmung zum Anlaß, unsere Turnhalle mit einheitsbejahenden Parolen zu verschönern. Im Übereifer übersah ich die nahende Volkspolizei, nach kurzer Flucht wurde ich von einem Vopo gestellt. Einzige Errungenschaft: Die Turnhalle bekam kurz vor der Wende von mir einen neuen, einheitlichen Anstrich. An einem Montag zur etwa gleichen Zeit gerieten wir beim Rumbummeln auf dem Alexanderplatz in einen Demonstrationszug. Hier konnte ich nun ganz ungestraft meine Meinung in die Welt rufen. Direkt am Palast der Republik vorbeilaufend „Wir sind das Volk“ oder „Schnitzler in die Muppet-Show“ zu skandieren, waren für mich minderjährigen Bengel sehr bewegende Momente. Als die Mauer schließlich fiel, wandelte sich die Grenze von der Todeszone in einen Abenteuerspielplatz. Mangels Ausweisen überquerte unser Jahrgang regelmäßig die Grenze nahe dem Berliner Tor im Laufschritt von Mauerloch zu Mauerloch. Nicht selten wurden wir dabei von Grenztruppen erwischt und ohne echte Konsequenzen auf der Ostseite hinausgelassen.

Vereinigtes Berlin 2003: Vor genau zehn Jahren interviewte ich den Jungenschafter Karl Siemens anläßlich des 50. Jahrestages des Volksaufstandes. Er berichtete mir damals:

„Während meiner Studienzeit in Göttingen bin ich über Walter Scherf mit der Hannoverschen Jungenschaft zusammengekommen und habe eine eigene Jungenschaftsgruppe aufgebaut. Durch diese Jungenschaftsarbeit bekam ich Verbindung mit einer in Westberlin laufenden Jungenschaftsgruppe. Dadurch lernte ich Tusk kennen. Tusk nahm mich öfter mit zu seinen Besprechungen beim Zentralrat der FDJ. Er wollte versuchen, eine Jungenschaftsgruppe im Rahmen der FDJ in Ostberlin zustande zu bringen. Das war die Zeit um den 17. Juni 1953. Nach dem 17. Juni wurde daraus verständlicherweise nichts mehr.“ (na klar!, Nr. 96, Juli 2003)

Karl wollte damals nur einen Rucksack kaufen. Er war wie so viele an diesem Tag nur passiver Beobachter und nachdem die ersten Steine flogen, Schüsse fielen und Panzer rollten, wollte er zurück ins sichere Westberlin fahren. Obwohl die Volkspolizei die Bahnhöfe gesperrt hatte, erreichte er über Umwege und spontane Mitfahrgelegenheiten den Westteil. Sein Leben ging weiter.

Wir beide hatten unsere Jugendjahre trotz „revolutionärer Zeiten“ unbeschadet überstanden. Viele hatten dieses Glück nicht. Wie gezeigt waren es oft aus heutiger Sicht Banalitäten, jugendlicher Übermut, die das Leben und die Freiheit kosteten.

Informationen: Weitere Hintergrundinformationen zum sozialistischen Jugendbund “SJD-Die Falken” in den Jahren 1945-1961 bietet eine Broschüre die hier einsehbar ist. Das letzte Bild ist dieser Broschüre entnommen. (Bildquelle: Archiv der Arbeiterjugend)

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