buch: kreuz & lilie

Es ist ein Schmöker, ein Personen-Lexikon und eine Erinnerungsfibel, eine historische Abhandlung, ein Dokumentenband und eine Sammlung persönlicher Tagebücher. Die Geschichte der christlichen Pfadfinder in Deutschland von 1909 – 1972 wird von dem Autorenteam in der „Gebrauchsanweisung für ein dickes Buch“ als ein Handbuch beschrieben und ist doch viel mehr. Kaum beginnt man über den Werdegang der Christlichen Pfadfinderschaft zu lesen, die in den sieben Eingangskapiteln systematisiert von den Anfängen 1909 bis zur Entstehung des VCP 1973 auf 150 Seiten beschrieben wird, so möchte man in den Keller steigen und in den alten Pappkartons nach den eigenen Erinnerungen wühlen, die getauschten Pfadfinderabzeichen aus den Schachteln holen und die Tagebuchaufzeichnungen der eigenen Jugend durchblättern. Einen größeren Anreiz als eine solche persönliche Erinnerungssuche kann man sich von der Lektüre eines Buches nicht wünschen. Aber ist dieses Buch damit nur ein Handbuch für Pfadfinder. Nein! Dafür finden sich zu viele historische Wegstrecken der christlichen Pfadfinder detailliert beschrieben und zahlreichekontroverse Debatten skizziert, die entweder innerhalb der Pfadfinderschaft geführt wurden oder in der Anpassung oder Ablehnung gesellschaftlicher Bewegungen entstanden sind. Wie entwickelte sich die christliche Pfadfinderarbeit aus ihren Ursprüngen in England, dem Wandervogel und den Evangelischen Jünglingsvereinen zu einer erfolgreichen Jugendbewegung in Deutschland? Wichtig erscheint mir, dass die problematischen Zeiten in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus ausführlich dargestellt werden. Eine Jugendbewegung, die von „Führerschaft und Gefolgschaft“(S.41) sprach und das „Reich“ verehrte blieb anfällig für totalitäre Ideologien und skeptisch gegenüber demokratischen Prinzipien. Interessant bleibt die Beschreibung und Wandlung der pädagogischen Grundkonzepte, die innerhalb der Pfadfinderpädagogik realisiert wurden. Hier gibt es, so wie die Autoren es fordern, ausreichend Bedarf für umfänglichere Forschungen über die Anpassung und Veränderung pädagogischer Konzepte. Wie wurde der Bogen von christlicher Verantwortung, gesellschaftlicher Realität und Pfadfinderpädagogik gespannt? Welche Handlungsszenarien waren leitend, welche Prinzipien unabdingbar?

aus Kapitel 1 – Die Anfänge: 1909 – 1918, Seite 15

Neben dem lexikalischen Schlussteil, der auf mehr als 100 Seiten Lebensläufe bekannter leitender CP’ler beschreibt, eine Liste der Publikationen der Christlichen Pfadfinderschaft skizziert und Grundsätze Ordnungen und Satzungen präsentiert, – alleine diese Sammlung zeigt eindrücklich die Adaption gesellschaftlicher Vorstellung – ist für mich der Mittelteil des Handbuchs unter dem Stichwort „Themen“, der spannendste. Auch wenn in relativ unsystematischer Weise einzelne Schwerpunkte und Inhalte der Pfadfinderarbeit dargestellt werden, liegt in diesen Aufsätzen eine Fülle von Grundmaterial bereit, welches weitere Arbeiten verlangt. Die Stärke der persönlichen Schilderung bringt auch die Schwäche mit sich, dass eine beurteilende Distanz zu den beschriebenen Phänomenen ausfällt und eine kritische Einordnung in sozial- oder kulturgeschichtliche Kontexte meist fehlt. Doch die thematischen Aufsätze faszinieren: Unter dem schlichten Titel „Soldaten“ liest man, verfasst von Jobst Besser, die Auseinandersetzung über die Entstehung der Pfadfinderschaft in militärischen Formen sowie einzelne Berichte über soldatische Erfahrungen. Hartmut Keyler beschreibt den Weg zur Internationalität der Christlichen Pfadfinderbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg, dem vermutlich wichtigsten Zeugnis der Pfadfinderarbeit für die Völkerverständigung. Weiter wird über Führungskulturen, das Liedgut und die Fahrten ebenso berichtet wie über christliche Lebensführung und das Naturverständnis. Bedauerlich bleibt,  dass es, neben den kurzen Ausführungen von Klaus Detert über die Christliche Jungenschaft in der Markschaft Ost, in diesem Handbuch keinen Aufsatz gibt über die verbotene Christliche Pfadfinderarbeit in der DDR, die mit illegalen Fahrten und Begegnungen in kleinstem Rahmen weiter existierte. Auch wenn vielen das Pfadfinderengagement heute durch den überwältigenden Einsatz auf Kirchentagen präsent sein wird, so erfährt man mit diesem Buch, aus welchen Quellen und mit welchen Inhalten die Pfadfinderarbeit zu einer der erfolgreichsten Jugendbewegungen weltweit geworden ist.

Diese Rezension wurde uns freundlicherweise überlassen von Herrn Ralf Meister, Bischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover.

Interesse?: Wir möchten unser Rezensionsexemplar gerne an einen unserer Leser weitergeben. Wer die folgende Frage als erster richtig beantwortet, oder wer am Ende am nähesten dran ist, bekommt das vorgestellte Buch von uns zugeschickt. Die Preisfrage lautet:

 - Wieviele Landesmarken bestanden im Jahr 1959 in der CPD? -

Schickt uns einfach euren Tipp an buendische-vielfalt(at)gmx.de oder nutzt das Kontaktformular.

Alle weiteren Interessierten können das Buch direkt hier oder hier bestellen.

 

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