Aktuell: Die Doku zum Buch (“Wir, die Teenager!”) läßt sich noch bis zum 1. Juli 2016 in der ARD Mediathek anschauen. 76 Minuten für eine “flotte” Reise der 100jährigen Jugend und ihrer Bewegungen (beschränkt auf USA, Großbritanien und Deutschland) … beginnend beim Ur-Hooligan vorbei am Wandervogel, den Pfadfindern und Scouts, über die Hitler und Swing-Jugend bis hin zum Teenager anno heute. Teils spannend aber auch etwas meditativ vorgetragen. Prädikat: Nettes Jugenderklärvideo von Erwachsenen.
Von rosé
Was reden wir doch immer wieder so gerne von „unserer“ Jugendbewegung und vom Wandervogel, der Jugend als solches doch erst erfand… wer aber fragte sich bei diesen doch recht selbstsicheren und „ethnozentristischen“ Worten nicht schon einmal, was denn diejenigen zwischen dem Kindheits- und Erwachsenenalter der restlichen Welt so trieben – und wie sie die „Jugend“ entdeckten?
Wer hierauf Antworten sucht, dem sei das 2008 in deutscher Sprache erschienene Buch „Teenage. Die Erfindung der Jugend (1875-1945)“ des britischen Journalisten Jon Savage empfohlen. Und bevor jetzt die ersten mit dem Weiterlesen aufhören, da aktuelle Bücher ja immer so teuer sind: Stimmt, aber gerade ist hierfür die Buchpreisbindung aufgehoben worden und statt 29,90 € bekommt man es jetzt etwa hier für nur noch knappe 8,-€!
Nach Savage ist die Erfindung der Jugend stark mit der Ausbreitung der westlichen Konsumkultur verbunden, denn der Begriff des „Teenagers“ entstand erst 1944/45 in den USA als Begriff für einen jungen Konsumenten. Doch davor liegen knapp 70 von Savage skizzierte Jahre, in denen sich die Zuschreibungen des Alters der Adoleszenz zwischen bedrohlicher Gefahr und hoffnugsvollem Ideal bewegte. So geht es in dem Band um Hooligans und Boy Scouts, um Sheiks, Hitlerjungen und Zazous. Gewinnbringend für unser eigenes Verständnis als deutsche Jugendbewegung sind neben den Kapiteln über Wandervögel und Pfadfinder sicherlich die Abschnitte über das englische Woodcraft Folk oder aber auch Peter Pan. Insbesondere aber die Möglichkeit, die eigene Glocke beiseitezuschieben und einmal zu schauen, wie junge Menschen anderer Länder auf die sich radikal veränderte urbanisierte Welt auf dem Weg in die Massen-, Konsum-, und Freizeitgesellschaft reagierten und welche Strategien sie für ihren Gang aus der Kindheit hinaus in eine solche Welt wählten. Kleine Unstimmigkeiten beim direkten Blick auf den Wandervogel seien da verziehen, etwa die Charakteristik des Jungwandervogels als „rechts“ im Gegensatz zum „urbaneren und kulturell ambitionierteren Hamburger Wanderverein“ (dem späteren Bund Deutscher Wanderer)…aber das ist dann auch wirklich unwichtig – witziger ist Savages Erstaunen darüber, daß im Wandervogel Sex mit wechselnden Partnern kein großes Thema war. Aber nun sei auch nicht zuviel verraten. Savage versteht sein Handwerk als Journalist – das Buch ist flüssig und klar geschrieben und liest sich locker weg, ohne dabei banal zu werden. Im Gegenteil macht er Zusammenhänge sichtbar und belegt an wichtigen Stellen sinnvoll mit Quellenangaben und einem Literaturverzeichnis. Wehmutstropfen bleibt nun für mich zum einen, daß ich noch 29,90 € ausgab, und zum anderen, daß meine Frage nach dem weltweiten Treiben der Jugend bei der Suche ihrer selbst vor der nächsten Glocke halt machte: über junge Menschen außerhalb der westlichen Welt erfahren wir leider gar nichts… hierfür benötigen wir wohl mindestens weitere 523 Seiten.
Jon Savage: Teenage. Die Erfindung der Jugend (1875-1945). Frankfurt / New York, 2008.