Der Futschputsch des Oberdada

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Die Jugendbewegung hat außergewöhnlich wertvolle Gedanken und Persönlichkeiten hervorgebracht. Gleichwohl war sie auch Zeit ihres Bestehens Anlaufpunkt für sonderbare und schräge Gestalten. Eine dieser Begegnungen der besonderen Art ereignete sich in den frühen Jahren der Jugendburg Ludwigstein. Alles begann mit einer Postkarte, die der damalige Vereinigungsvorsitzende Enno Narten im Herbst 1922 auf der Ludwigstein erhielt. Darauf war kurz und knapp zu lesen:

„Der Oberdada hat sich an die Spitze der Ludwigsteiner gestellt und wird demnächst auf der Burg aufkreuzen. Mit freundlichen Gruß! Johannes Baader, Der Oberdada.“ (nach Mogge, Oberdada und Wandervogel, Jahrbuch AdJb, Band 18, S.233)

Ehe der Inhalt der Botschaft in Vergessenheit geraten konnte, stand Baader Tage drauf höchstpersönlich in der Burgkanzlei und verkündete:

„Ich bin der Oberdada und werde fortan die Geschicke der Burg in meine Hand nehmen. Wo kann ich schlafen und wann wird hier gegessen?“ (nach Mogge, Oberdada und Wandervogel, Jahrbuch, Band 18)

Der Oberdada suchte nach dem Abflauen der dadaistischen Bewegung weitere Betätigungsfelder, und treu seinem Motto „minima non curat praetor“ hatte er Großes vor. Im Fortgang des Gespräches offenbarte er Enno seine Pläne, reichlich Unterstützer und Geld zu besorgen sowie eine Zeitung in Witzenhausen herauszugeben. Zumindest die Zeitung sollte kein Dada-Schnack bleiben, die „Brieftaube vom Ludwigstein“ erschien und ihr Ausflug sollte für Aufsehen sorgen. Nicht, weil darin die Edda ein alternatives Ende fand oder großspurig und eigenmächtig ein Welttreffen der Jugend ausgerufen wurde. Ein preußischer Oberregierungsrat war aus anderem Grund verstimmt und konfrontierte Enno Narten mit dem Leitartikel der „Brieftaube“:

„Lieber Papst Pius, Du wirst vom Ludwigstein schon gehört haben, wir laden Dich ein, denn der Ludwigstein ist der Sitz des Weltgerichts geworden. Du fährst am besten bis Werleshausen, gehst über die Brücke und dann schnurstracks den Berg rauf, wo wir Dich sehr erwarten. Mit freundlichen Grüßen, Dein Enno Narten.“ (nach Koch/Koch jr, Der Ludwigstein als Jugendburg, 1982)

Der Oberdada hatte sich längst verduftet, aber die Schilderungen von Enno Narten sind im Originallaut erhalten geblieben. Diese Anekdote darf also im Archiv angehört werden, sonst bezichtigt man uns noch des Schnacks und Schabernacks. Zum ersten Welttreffen der Jugend reiste am 1. August 1923 übrigens nur einer an – der „Präsident des Erd- und Weltballs“ höchstselbst. Es sollte des Oberdadas letzter Besuch ohne „Tarnkappe“ bleiben.

Hinweis:

Wer weiteres zum Oberdada und anderen selbsternannten „Heilsbringer“ erfahren möchte, der schmökere in folgenden Büchern.

Winfried Mogge, Oberdada und Wandervogel, Burg Ludwigstein und die Jugendbewegung 1922/23. In: Jahrbuch des Archivs der Jugendbewegung, Band 18, 1993-1998, ISBN 3-88551-013-8

Ulrich Linse: Barfüßige Propheten – Erlöser der zwanziger Jahre. Berlin 1983, ISBN 3-88680-088-1

Riha, Karl (Hg.): Trinken sie die Milch der Milchstraße. Texte und Taten des Oberdada. Hamburg, 1990


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