Politische Häppchen für die Grauen Zellen

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Published on: 29. November 2009

von bjo:rn

Am 15. November, einem milden Herbsttag, verabredete ich mich mit Jule auf der Reeperbahn, um der Einladung zur politischen Frühstücksmatinée der Arbeitsgemeinschaft freier Jugendverbände (AGfJ), des Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbundes Nord (PBN)und der Sozialistischen Jugend Deutschlands -Die Falken im nahegelegenen Kulturzentrum Kölibri zu folgen. Dort sollten Jesko Wrede und Maik Baumgärtner über „rechte“ Jugendbünde, so auch den unsrigen, referieren. Sekundengleich mit unserem Zusammentreffen, schleppte sich auch Jesko schwer bepackt und wohl nicht minder gedankenschwer die Treppen vom S-Bahnhof hinauf und schwenkte nur zwei Meter vor uns gen Kölibri ein. Wir hatten es nicht ganz so eilig und tranken noch ein Käffchen am leergefegten Fischmarkt.

Als wir letztlich doch am Kulturzentrum eintrafen, stand Jesko mit einigen Pfadfinderinnen des PBN vor der Tür. Abermals schlenderten wir am Referenten vorbei und wurden vom Veranstalter, Jan Jetter, freundlich empfangen. „Das Büffet wird gleich eröffnet“ und wir sollten uns doch schon einen „schönen Platz“ suchen. Nachdem wir fündig geworden waren, schauten wir uns ein wenig um und nahmen einige Naschereien für die musikalische Einstimmung mit an den Platz. Nach und nach trafen mehr Zuhörer ein, von denen einige in den ausliegenden Antifa-Heftchen blätterten. Eine französische Sängerin verkürzte mit ihren gemütlichen Liedern die Zeit bis zum Vortrag. Zum Ende der musikalischen Einstimmung schien man uns doch endlich einordnen zu können, und nachdem Jesko vom „BdP mit kleinem D“ seitens Jan Jetter vorgestellt wurde, begrüßte der Referent seine Zuhörer, ganz besonders auch die Vertreter des Freibundes – also uns. Unser Lächeln war ihm gewiß.

Das Programm war ein Kompendium des wuchtigen Vortrages auf der Balduinstein, von dem Isa schon berichtete. So möchten wir ungern längst Gesagtes wiederholen. In aller Kürze sei bestätigt, daß auch auf St. Pauli ein Trommelfeuer von Zitaten, welche zum Konstrukt „Rechte Milieubildung“ paßten, rezitiert wurde. Anfänglich mit einer solchen Geschwindigkeit, daß Jesko seitens der Zuhörer mehrfach ausgebremst werden mußte. Inhaltlich gestand er unserem Bund eine gewisse Veränderung zu, um diese Aussage prompt durch verbesserte „Codierung“ zu relativieren. Deren Entschlüsselunghat er sich voll und ganz verschrieben.

Besonders merkwürdig schienen uns die konstruierten Fragen vom Veranstalter selbst, der es verstand, sich ganz naiv dem Thema zu nähern, wo er doch spätestens seit seiner eigenen Veröffentlichung auf Jeskos Blog zutiefst „informiert“ sein sollte. Überraschend und amüsant zugleich war die Tatsache, daß Jesko den eifrig Fragenden zumindest in einem historischen Fakt korrigieren mußte. Das gefiel Jan Jetter scheinbar genauso wenig wie der teilweise aufkommende Dialog zwischen Jesko und uns. Schließlich sei dies ja hier keine „Diskussionsveranstaltung“ ungeachtet weiterer Fragen seinerseits, nach dem Motto: „Ist das Frauenbild dieser Bünde nicht identisch mit dem der NPD?“ (frei zitiert) Ganz uneingeschränkt mochte Jesko dem nicht beipflichten, kam jedoch nicht umhin, wie gewohnt auf erkennbare Schnittmengen hinzuweisen. Und diese Schnittmenge verführte eine junge Zuhörerin vom „BeDePe“ (vermutlich mit großem D) zur Aussage, daß „Faschismus“ keine „Meinung“ sei, „sondern ein Verbrechen.“ Ungeachtet der Tatsache, daß den Bünden nicht Faschismus vorgeworfen wurde, erhob Jan Jetter diese emotionale Aussage zum Schlußsatz und mahnte die meist jugendbewegten Zuhörer zur Wachsamkeit. Schließlich wäre es anzuraten, die bösen Bünde aus dem Boot zu werfen, bevor sie einen selbst über Bord werfen können. Eine weit hergeholte und zutiefst erschreckende Metapher.

Nachdem wir uns aller gegensätzlichen Argumentation zum Trotz von Jesko verabschiedeten, hörten wir noch die klagenden Worte Jan Jetters, dies könne er so nicht machen. Ein letzter Abstecher aufs stille Örtchen konfrontierte mich noch mit allerlei politischen Spuckies, auf denen unter anderem gefordert wurde: „Bildet Banden!“ An so was Handfestes war an einem solch sonnigen Tag gar nicht zu denken. Wir gingen ins Freie, atmeten tief durch und schlendertennach Hause.

Daheim lasse ich mir das Gehörte durch den Kopf gehen. Wie schon nach der Lektüre der Broschüre habe ich das Gefühl, mir sei ein gänzlich unbekannter Bund vorgestellt worden. Nichts erfuhr ich von den freudestrahlenden Momenten fernab ideologischer Zwänge. Kein Wort über zarte und fetzige Singerunden. Kein Bericht über fahrtentolles Treiben über alle Kontinente hinweg. Kein bißchen Sehnsucht, nur ideologischer Zwang. Kein Ringen, Suchen, Finden, nichts als Kampfgeklirr und Wolfsgeheul.

Ich krame nach den zitierten Bundesheftchen. In Ausgabe 108 werde ich fündig. Titelblatt: Ich bin beruhigt, eine fröhliche Mädchenschar lächelt mich an. Alles wie gewohnt, auch auf Seite 3 ein fröhliches Gesicht, ich lächle zurück, blättere weiter: Viel Heimat und viel Ferne. Sehr viel Ferne, von Jesko unerwähntes Fahrtenglück fern der Heimat, durch die Bretagne, per Fahrrad durch Schweden und nach Wien, südwärts nach Italien und nordwärts nach Norwegen, rund um Seen und hin zum Meißner, Erlebnisse eines Fahrtenquartals. Zu guter Letzt ganz allgemeine Gedanken zu Fahrt und Wiederkehr. Ich fühle mich geborgen in diesem Heft, dies ist mein Bund. Auf Seite 20 dann die zitierten Gedanken zu Heimat und Volkstum, daneben meine Liebeserklärung kein Zitat wert. Und auch der Rest des Heftes gänzlich unverfänglich, wie es scheint „brillant codiert“. Wo ist der Wille, den Bund als Ganzes zu sehen, nicht dieses Trugbild willkürlich einseitiger Zitate? Nicht einmal Schemen dieses Anspruchs lassen sich erahnen.

Tage später, den Kopf längst frei davon, erfahre ich, daß Jan Jetter bis vor einigen Jahren Sänger und Textschreiber der Antifa-Politpunkband „Graue Zellen“ war. Dieses kulturelle Wirken läßt tief blicken und erhellt einige Momente der sonntäglichen Matinée. Vermag es Jan Jetter gar selbst zu codieren? Einst sang er noch „bist noch am kriechen willst diskutieren – verpiß dich, mit Faschisten rede ich nicht“, und heute bedient er sich ganz brav §6 VersG. Als ich jedoch die folgenden Textzeilen lese, kommt mir sofort der geschmacklose Aufruf zum „über Bord Werfen“ in Erinnerung.

„… und sie lügen und sie fälschen,

denn sie wollen neu beginnen

meine Hand die wird zur Faust dann

und diese Faust die will zuschlagen

Faschismus hockt im Kern

dieser Gesellschaft es fehlt nur

der Schlächter, der die Schalen sprengt

drum schlag jetzt zu

sonst ist es zu spät.“

(Quelle: Wem die Geschichte gehört, Graue Zellen, Album: Voran ins Gestern)

Es ist wohl ein Irrglaube, daß eine jede Seefahrt lustig wäre. Kielholen der falschen Meinung wegen – ohne mich. Ich wünsche allseits gute Fahrt!

klo

Nachtrag:

Nun hat sich also Jan Jetter selbst zum Sonntagsmatinée geäußert. Diese Gedanken möchten wir der Leserschaft natürlich nicht vorenthalten. Ärgerte man sich schon vor Ort im Stillen über die eigene Nachlässigkeit, nicht großzügiger ausgeladen zu haben, so rekapituliert Jetter nun ganz offen und zum Mitlesen:

„Bei zukünftigen Veranstaltungen ist es jedoch sinnvoll, sich im Vorfeld darauf zu verständigen, dass unter Verweis auf §6 Versammlungsgesetz rechtsextreme Gruppen – in diesem Falle auch rechte Jugendbünde – zur Veranstaltung nicht eingeladen sind. Nur so ist eine angstfreie Diskussion über Gegenstrategien möglich.“

Traditionelle Bünde als Rechtsextremisten zu stigmatisieren, vor denen man Angst haben müsse – das ist in der Tat harter Tobak, dem entschieden widersprochen werden muß! Und doch zeigt doch grade diese Stigmatisierung und diese Zuschreibung in Freund/Feind, woher der Wind weht. Mitnichten geht es um den Erhalt einer freien, undogmatischen Jugendbewegung, sondern vielmehr offenbart sich hier der Versuch, das bündische Milieu politisch zu vereinnahmen.

Nun müssen wir wohl nicht allzu viel Angst haben, von Jan Jetter in den politischen Feindestopf geworfen zu werden, finden wir uns doch dort in einem durchaus pluralistischen Umfeld wieder, wie Jan Jetters Texte aus seinen früheren Punkzeiten verraten. Wir werden bei dem breitem Spektrum, dem seine Angriffe dienen, den Verdacht nicht los, daß er sich mit der “bürgerlichen” Jugendbewegung ein klein wenig die falsche Zielgruppe für seinen Agitprop ausgesucht hat … so sang er einst als Frontmann der Grauen Zellen:

„Dieses Land lehn ich ab mit all dem wofür es steht meine Wut täglich neu auf den Dreck der hier passiert…“ (Graue Zellen, Oft gefragt)

Und dieser „Dreck“ scheint wie erwähnt kaum politische Grenzen zu kennen …

„…Gerhard Schröder spricht wie ein Faschist und dann das wieder kein Arsch interessiert…“ (Graue Zellen, Du lebst hier nicht erst seit heute)

„…Sieg Heil, Kanther, gut gemacht Volksgemeinschaft atmet auf, alle müssen raus…“

(Graue Zellen, Kanther abschieben)

Dieses Jahr wird die Fußballweltmeisterschaft die Plätze und Straßen schwarz-rot-gold einfärben. Für Jetter nicht unbedingt ein Grund zur Freude, ganz im Gegenteil …

„…wenn Revolution nur Werbeslogan ist sich Stumpfsinn in die Köpfe frißt die Deutschen selbst im Fußball Sieger sind und du dir manchmal eine Knarre wünscht …“

(Graue Zellen, Du lebst hier nicht erst seit heute)

Aber was wäre das Klagen und Wünschen wert, wenn man nicht zielorientierte Lösungsansätze durchdacht hätte …

„…am Nordpol ist noch Platz genug, da kommen die hin, Zaun rum tut not. Ein Argument wog jedoch schwer, das ganze Land wär ziemlich leer, scheißegal, wir nehmens in kauf…“

(Graue Zellen, Die Entscheidung trifft mann für sich)

Wieder eines dieser Angst machenden Gleichnisse. Kaum vorstellbar, daß diese Deportation moralisch wertvoller sein soll als jene von Kanther & Co. Ob es vielleicht doch so ist, müssen jene erfragen, die weiterhin erwünscht und geladen sind.


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