Das Winternetz der Nächte wächst
und legt sich enger um den Tag.
Bald wird es niederziehn die Sonne.
Macht der Tod den Fang?
Wie es wächst und schwillt,
es löscht noch keinen Brand.
Und fällt auch jetzt das Netz der eisigen Flocken übers Land –
zu groß ist schon die Glut, die unser Herz entfacht.
Bald ist das Netz ergriffen-
Brennt!
(Karl Christian Müller, teut)
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Rückblickend
Vor 85 Jahren: Jungjüdischer Wanderbund (JJWB) entscheidet Anschluß an die Jugendorganisation der Welt – Hechaluz
Auf der Führertagung des Jungjüdischen Wanderbundes (JJWB) vom 24.-26. 12. 1924 stimmte die Mehrheit für einen Anschluß an die weltweite zionistische Pionierbewegung (Hechaluz) mit dem Ziel der jüdischen Einwanderung nach Palästina (Alja). Im März des folgenden Jahres schloß sich der JJWB mit dem Brith Haolim („Bund der Einwanderer“) zum Jungjüdischen Wanderbund Brith Haolim zusammen.
Der Jungjüdische Wanderbund war ursprünglich innerhalb des Verbandes Jüdischer Jugendvereine Deutschlands (VJJD) 1909 entstanden. Angeregt durch die freie Wandervogelbewegung, löste sich dieser schließlich vom Verband und ging eigene Wege. Jugendbewegter Idealismus, Gemeinschaftsleben, Naturverbundenheit und einfache Lebensweise führte die Führer des Bundes schließlich hin zur zionistischen Bewegung, entsprach das Ideal des jüdischen, heroischen Siedlers (Chaluz) doch ganz dem eigenen, jugendbewegten Ideal. Als Pioniere wollten sie ihrem Volk vorangehen, wollten in „Erez Israel“ Gemeinschaftssiedlungen aufbauen und so daran mitwirken, den Juden weltweit in Palästina ein Heimstätte zu schaffen und die Juden wieder an ein eigenes Land und eigenen Boden zu binden. In Hachschara-Stätten bereiteten sie sich auf diese Aufgaben vor: auf landwirtschaftlichen Gütern lernten sie bäuerliches Arbeiten, Haus- und Handwerke kennen und übten sich in Hebräisch. Leben und Arbeiten in Gemeinschaft – dieses Ziel wollten (und sollten) sie später in Kibbuz-Projekten verwirklichen.
Jüngst erschien zu diesem Thema das empfehlenswerte Buch „Gemeinschaft in Bildern. Jüdische Jugendbewegung und zionistische Erziehungspraxis in Deutschland und Palästina/Israel“ von Ulrike Pilarczyk.
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Vor 80 Jahren Spaltung der Artamanenbewegung
Vom 10-20.12.1929 fand vor 80 Jahren der Reichsführerlehrgang des Bundes der Artamanen statt, bei dem unter anderem der Nationalsozialist Baldur von Schirach, der in der damaligen Jugendbewegung populäre völkische Dichter Georg Stammler (Pseudonym von Ernst Emanuel Krauß) aus Hellerau sowie der Nationalrevolutionär und ehemalige SPD-Genosse Ernst Niekisch sprachen. Nach einem Eklat zwischen den verschiedenen Flügeln innerhalb der Artamanenbewegung kam es zur Spaltung in die Bünde „Die Artamanen – Bündische Gemeinschaft für Landarbeit und Siedlung“, denen das jugendbewegt-kulturelle Element und das Ideal des Siedelns besonders wichtig waren, und den Bund Artam e.V., der – deutlich nationalsozialistisch ausgelegt – besonderes Schwergewicht auf den freiwilligen Arbeitsdienst legte. Der Bund Artam e.V. verbot der Bündischen Gemeinschaft schließlich gerichtlich, sich ebenfalls als Artamanen zu bezeichnen; daraufhin nannten sich diese Bündische Gemeinde. Nur wenige Jahre später mußte der Bund Artam e.V. allerdings Konkurs anmelden. Viele der dortigen Artamanen fanden zur Bündischen Gemeinde, deren Mitglieder sich nun wieder auch offiziell wieder Artamanen nennen konnten.
Die Artamanenbewegung war nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg innerhalb der Jugendbewegung aus den romantisch-völkisch geprägten Idealen der Landarbeit und des Siedelns heraus als überbündische Älterenbewegung entstanden. Später wandte sie sich, wie viele lebensreformerisch-kulturpessimistischen Kreise, dem Nationalsozialismus zu.
Der Gedanke des Siedelns als idealisiertes „einfaches Leben auf dem Lande“ übte (und übt) auf viele Jugendbewegte über politische Anschauungen hinweg eine besondere Faszination aus. Die erfolgreiche Jugendbuchautorin Gudrun Pausewang hat in ihrem Buch „Die Rosinkawiese“ diesen Idealismus, wie sie ihn selbst als Kind bei Ihren Eltern erlebt hatte, literarisch festgehalten.
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Vor 75 Jahren Gründung der Schwarzen Schar
Am 1.12.1934 schlossen sich Jugendbewegte aus verschiedenen zwangsaufgelösten Bünden der Bündischen Jugend und der Arbeiterjugendbewegung in Berlin zur illegalen Schwarzen Schar zusammen, unter ihnen etwa Mitglieder der Ringpfadfinder und der Roten Pfadfinder. Das Verbot der freien Jugendbünde nicht hinnehmend, sammelten sie sich unter einer Schwarzen Fahne mit rotem Flammenzeichen und der Losung „Trotz alledem“. Bis in den Krieg hinein traf sich dieser Kreis. So fuhren einige von ihnen 1937 zum internationalen Jamboree nach Holland und brachten von dort Hefte der bündischen Oppositionszeitschrift „Kameradschaft. Schriften junger Deutscher“ mit zurück. Während des Krieges gab der Kreis systemkritische Rundbriefe heraus und noch 1940 fand eine illegale Kohtenfahrt statt. Einer von ihnen, Heinz „Jonny“ Steurich, führte nach 1945 die Tradition der Schwarzen Schar als Deutsche Pfadfinderschaft Schwarze Schar e.V. fort, welche sich eher im rechtskonservativen Spektrum der deutschen Pfadfinderbünde der 1950er und 1960er Jahre wiederfand. Gemeinsam mit anderen freien Jugendbünden nahm die Schwarze Schar am Meissnertreffen 1963 teil. Ein bezeichnendes Dokument aus der illegalen Zeit ist der Erlebnisbericht einer Trauerfeier, die die Schwarze Schar 1938 für einen ihrer Kameraden abhielt, der 1937 den Freitod wählte: „wir müssen euch verlassen, weil wir andere ideale haben als die vorgeschriebenen, weil wir eine gemeinschaft sind, die trotz verbot beieinander geblieben ist. zusammengewachsen durch die innere und äussere not des volkes. durch fahrt und lager. gemeinsame erlebnisse. durch den glauben an die wiedergeburt unseres volkes. wir lernten kameradschaft, treue, wahrhaftigkeit. mut, gehorsam und disziplin. wir lernten ihren inneren wert für die erneuerung deutschlands kennen. und jetzt? verfolgt wie verbrecher. zu staatsfeinden gestempelt müssen wir wie lichtscheue elemente zu einander schleichen. immer mit der möglichkeit rechnen beobachtet und verhaftet zu werden. vier hunderschaften sind wir hier, die morgen für ihre ideale ins zuchthaus oder gefängnis kommen können. leben? nein! knechtung! knechtung des geistes, des körpers, des wortes und des willens….“
Als Faksimile ist der vollständige Bericht unter anderem in dem von Dirk Hespers 1988 herausgegebenen Buch von Hans Ebeling „Reaktionäre Rebellen Revolutionäre. Jugendbewegung – Bündische Jugend“ wiedergegeben. Dieses Buch ist nur noch antiquarisch erhältlich.
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Persönlichkeiten
Vor 45 Jahren gestorben
Vor 45 Jahren, am 8. Dezember 1964, starb der Reformpädagoge Gustav Wyneken in Göttingen. Der am 19. März 1875 in Stade geborene Wyneken gründete nach seiner Lehrertätigkeit in Landerziehungsheimen von Hermann Lietz zusammen mit Paul Geheeb 1906 die Freie Schulgemeinde Wickersdorf. Mit dieser nahm er 1913 zusammen mit Martin Luserke am 1. Freideutschen Jugendtag auf dem Hohen Meißner teil und wurde dort einer der beachtetsten und gleichfalls umstrittensten Vertreter. Durch seine Reden und Veröffentlichungen verbreitete er im deutschen Sprachraum den Begriff der eigenständigen Jugendkultur.
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Vor 25 Jahren gestorben
Vor 25 Jahren, am 22.Dezember 1984, starb der Ethnologe Paul Leser in Hartford.
Am 23.Februar 1899 in Frankfurt am Main geboren, fand er über die von Gustav Wyneken herausgegebene Zeitschrift „Der Anfang“ den Weg zur Jugendbewegung und gehörte seit seiner Gründung dem Nerother Wandervogel an. Er war ein enger Vertrauter Robert Oelbermanns und setzte sich im Bund besonders für den dortigen Ordensgedanken ein.
1933 war Paul Leser Mitbegründer des illegalen Ordens der Pachanten.1936 emigrierte er aus Deutschland und kam über Skandinavien in die USA. Unter dem Titel „Wer Nerother war, war vogelfrei“ erschienen einige Dokumente Paul Lesers aus dem Jahre 1933 als pulsheft 20 im Verlag der Jugendbewegung.
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