Harro Schulze-Boysen: Zum 100jährigen

hsb

Am 02.09.2009 wäre der als einer der Köpfe der sogenannten “Roten Kapelle” bekannt gewordene Harro Schulze-Boysen 100 Jahre alt geworden. In der DDR als kommunistischer Antifaschist gefeiert, in der früheren Bundesrepublik als Sowjetspion verschrien, widmet sich dieser Rückblick einer anderen Phase seines Lebens: seiner jugendbewegten Vergangenheit.

Ein Beitrag von rosé

“Wir sollten den Mut haben, ganz offen zu bekennen, daß uns die Frontstellungen “Rechts gegen Links”, “National gegen International”, “Bourgeoisie gegen Prolet” zu farblos und unwesentlich sind. Warum? Das Zeitalter der organisatorischen Routine und der mechanischen Zielgläubigkeit offenbart sich in der zerrissenen Einförmigkeit. Es offenbart sich in einer Klassenordnung, die ihre Wurzeln nicht im inneren Rang, sondern nur allzuoft in der zufällig geglückten Spekulation hat. DAS LEBENDIG EINHEITLICHE DAGEGEN OFFENBART SICH IN DER MANNIGFALTIGKEIT.

(Harro Schulze-Boysen: Gegner von heute – Kampfgenossen von morgen, Berlin 1932)

Am 02.09.1909 erblickt Harro Schulze-Boysen in der Marinestadt Kiel das Licht der Welt. Als Großneffe des Großadmirals Tirpitz wächst er in einem nationalbürgerlich-preußischen Umfeld auf und wird in den 1920er Jahren Mitglied in der Jungdeutschen Ordensjugend von Artur Mahraun. Fasziniert von jugendbewegtem Wandervogelleben trägt er diese Ideen stark in seinen Bund hinein. Frustriert von der Zersplitterung und Eigenbrödlerei der Jugendbünde will er mit der Ordensjugend das Erbe der Jugendbewegung antreten und die Bünde in ihr vereinen. Am 1.4.1928 tritt er als Hauptredner bei einer öffentlichen Veranstaltung des Jungdeutschen Ordens für die “Einigung der Jugendverbände” ein und ruft dazu auf, eine “neue Front” zu schaffen, die die ideologischen Schranken zwischen den politischen Parteieneinreißen soll.

Die Gedanken einer “neuen Front” jenseits gängiger politischer Einordnungen prägen Harro Schulze-Boysens Denken und Handeln wesentlich. Zwischen “linken Leuten von Rechts” und “rechten Leuten von Links” unterhält er im pulsierenden Berlin der späten Weimarer Zeit Kontakte zu unterschiedlichsten jungen Intellektuellen. 1932 wird er Schriftleiter der Zeitschrift “Der Gegner”, in der eben solche “Querfrontler” zu Wort kommt: das Spektrum reicht von Kommunisten wie Boris Goldenberg oder Karl Korsch bis hin zu Anhängern von Otto Strassers national-sozialistischer “Schwarzer Front”. Ernst von Salomon veröffentlicht hier einen Vorabdruck aus seinem Buch “Die Stadt”, und auch Jugendbewegte gehören zum Autorenkreis des Gegners, etwa Eberhard Köbel (tusk), der sich im “Gegner” offen zum Kommunismus bekennt, oder besonders auch Fred Schmid vom elitären Grauen Corps.

1932 lebt und schreibt Schulze-Boysen zeitweilig in der Berliner “rotgrauen garnison” der dj.1.11, einer der ersten deutschen “WGs”. Um die Zeitschrift herum bilden sich Leserkreise, die in den Berliner Cafés wie dem seinerzeit bekannten “Café Adler” rege “zwischen den Fronten” diskutieren. Doch der Austausch währt nicht lange: 1933 wird “Der Gegner” verboten, Harro Schulze-Boysen mit anderen Mitarbeitern verhaftet und schwer mißhandelt. Sein Freund Henry Erlanger, gebürtiger Jude, stirbt in seinem Beisein. Der bei der Verhaftung des “Gegner”-Kreises ebenfalls mitinhaftierte Heinz Gruber (heigru, vor 1933 Führer einer bündischen Hitlerjugendgruppe, dann Schwarze Jungmannschaft) berichtet später, daß erst die Nazis Schulze-Boysen dort zum späteren Sowjetspion schlugen, und Ernst von Salomon schreibt in seinem Buch “Der Fragebogen” über Schulze-Boysen, als er diesen nach seiner Haftentlassung wiedertraf: “…ich erkannte ihn nicht. Er trat mir in den Weg. Sein Gesicht war sehr verändert. Ihm fehlte ein halbes Ohr, sein Gesicht war von rötlichen, kaum vernarbten Wunden gezeichnet. [...] Er sagte: “Ich habe meine Rache auf Eis gelegt!”

Am 22.12.1943 werden er und seine Frau wegen Hoch- und Landesverrats in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Literatur:

Coppi, Hans (1995); Harro Schulze Boysen – Wege in den Widerstand. Eine biographische Studie. 2. Aufl.Koblenz 1995

Bahar, Alexander (1992); Sozialrevolutionärer Nationalismus zwischen Konservativer Revolution und Sozialismus.Harro Schulze-Boysen und der Gegner-Kreis, Koblenz 1992.

Coppi, Hans / Andresen, Geertje (Hg.) (2002); Dieser Tod paßt zu mir. Harro Schulze-Boysen – Grenzgänger im Widerstand. Briefe 1915-1942. Berlin, 2002

Schulze-Boysen, Harro (1994); Gegner von heute – Kampfgenossen von morgen. 4. Aufl., mit einem aktuellen Nachwortvon Arnold Bauer, Koblenz 1994 (Erstausgabe Berlin, 1932)


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