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„Vaters“ Hundertster – eine andere Art von Festschrift für olka (Erich Scholz)

Rezension von rosé

 

In diesem Jahr wäre der Jugendbewegte olka (Erich Scholz) einhundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlaß gaben mehrere seiner Kameraden aus den Nachkriegsjungenschaften einen Sammelband zu seiner Person heraus. Olka, dem wir so viele Lieder verdanken und der einen bedeutenden Anteil hatte am Leben der Nachkriegsjungenschaften. Er, der scheinbar ein besonderes Gespür für die „Generation ohne Väter“ hatte: „Wir suchten nach Vätern, die uns persönlich vielfach verwehrt geblieben waren. Manche boten sich an, zumeist aber mit der Vorstellung, Führungspositionen und Führungsideologien der zwanziger Jahre fortführen zu können. Das Konzept, bündische Gemeinschaft und offene Gesellschaft miteinander zu versöhnen, so wie es auf dem Meißner 1963 vorgetragen wurde, war nicht einfach zu vermitteln. Einer, dem es sofort und unmittelbar einleuchtete, war olka. Er hatte keine Führungsambitionen mehr, er instrumentalisierte uns nicht, er inspirierte, er half.“ (Roland Eckert und Horst Zeller, S.16) Über ihn also schrieben einige seiner Kameraden, wohl zum Teil auch Freunde, ein kleines Büchlein. Es hätte ein schönes Buch werden können. Ein Buch mit vielen seiner Lieder und Geschichten. Ein Buch vom Brückenschlag der Generationen und Völkerverständigung. Ein Buch auch über seine Mitgliedschaft im oberschlesischen Wandervogel und später der Jungenschaft in Polen. Wohl auch über „Bündische Umtriebe“ im Dritten Reich, von der das von olka im später verbotenen Verlag Günther Wolff noch 1935 herausgegebene Liederbuch der Rotte Brabant Zeugnis gibt und dessen Lieder zum Schatz der illegalen Bündischen im NS-Regime gehörten. Doch das Buch konnte so nicht erscheinen. Da war noch etwas. Etwas, das vor mittlerweile rund zwei Jahrzehnten publik wurde: olka war während des Dritten Reiches nicht nur Mitglied der SS und tätig im SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt, sondern gegen Kriegsende auch Kommandeur der SS Baubrigade 4, einer Einheit von KZ-Häftlingen, die dem Konzentrationslager Mittelbau-Dora bzw. später dem KZ Sachsenhausen unterstellt war. Olka also, unbezweifelbar, Leiter einer KZ-Einheit: “Was ließen jene, die vor uns schon waren“?!

Fünf Aufsätze sind es, die sich dem komplexen Leben olkas nähern. Während Roland Eckert und Horst Zeller zunächst die Bedeutung von olka für die Nachkriegsjungenschaften beleuchten und sich dieser Seite olkas widmen, geht Fritz Schmidt detailliert auf Spurensuche über die Zeit vor 1945 – nicht ohne auch die Umstände der Aufdeckung dieser Verstrickungen olkas zu beleuchten: Wem ist es zu verdenken, wenn ein seinerzeit als Jugendlicher wegen illegalen bündischen Gruppenlebens in einer solchen Baubrigade Inhaftierter nicht den Weg einer Versöhnung und Differenzierung gehen kann, wenn er feststellen muß, daß derjenige, den er für einen der seinen, der illegalen Bündischen, hielt, auf der anderen Seite als Leiter einer solchen SS-Baubrigade stand? Und was ist mit dem Massaker von Gardelegen, wo in den letzte Tagen des Krieges über 1000 Häftlinge, in eine Scheune getrieben, mit Handgranaten, Signalraketen und Panzerfäusten befeuert verbrannten? Nur wenige Tage zuvor hatte der dort massakrierte Zug von KZ-Häftlingen Station in dem von olka kommandierten Lager gemacht, und olka selbst hatte um die dreihundert Kranke und dem Lager zugewiesene abgemagerte Juden zusammen mit Wachpersonal diesem Zug übergeben. Konnte er, wie Fritz Schmidt annimmt, wirklich nicht vorausahnen, was mit ihnen geschehen werde? Auf der anderen Seite stehen die Berichte, die olka auch in dieser Zeit als einen humanen und gerechten Menschen beschreiben.

Der dritte Aufsatz stammt von Jürgen Reulecke und behandelt die Zeit der Inhaftierung olkas in amerikanischen Lagern zwischen 1945 bis 1948. In dieser Zeit, in der er unter anderem im früheren Konzentrationslager Dachau inhaftiert war, schrieb olka sowohl etliche Briefe an seine Frau Inge als auch tagebuchähnliche Aufzeichnungen, die er später unter der Überschrift „Der Stacheldraht-Orden. Erlebnisse und Erfahrungen aus drei Jahren Haft in amerikanischen Lagern 1945-1948“ als Manuskript zusammenfaßte. Haltung, Pflicht und Schuld, dies sind die drei Kernbegriffe, um die olkas Denken in jenen Jahren kreist. Selbstreflektierend erkennt er, „wie schnell und wie tief man hätte schuldig werden können, aber auch, ‚wie dunkel oder hell, wie verzeihbar oder tieflastend Schuld gewertet werden’ müsse: ‚Es nutzt dabei gar nichts, Schuld gegen unbezweifelbare Gegenschuld aufzurechnen: Man geht durch das Dickicht seiner Tage, und allzu oft bleibt einem eine heilsame oder hilfreiche Aussicht seinen Entschlüssen versperrt’“ (Nach Jürgen Reulecke, S. 84.). Schade ist, daß der „Stacheldraht-Orden“ ebenso wie der Bericht von olka über die Baubrigade 4 unveröffentlichte Manuskripte sind – nach den umfangreichen Vorstellungen beider Werke durch Fritz Schmidt und Jürgen Reulecke hätte man allzu gerne hierin gelesen.

Es folgen zwei weitere Aufsätze über olkas Leben: Während sich Helmut König seinen Liedern, immerhin 156 Stück, widmet, ergründet Horst Zeller den Schriftsteller Erich Scholz. Gerade zuletzt genannter Aufsatz berührt und verdeutlicht, was für eine Persönlichkeit olka gewesen sein muß. In einer Fußnote schreibt Horst Zeller, daß er nach dem Bekanntwerden der NS-Vergangenheit olkas seinen Kontakt mit ihm abbrach: „Ich verstand nicht, wie Erich Scholz es noch hatte wagen können, sich in der Bundesrepublik für den Aufbau eines ideologiefreien, demokratischen, föderalen und ausgesprochen kreativen autonomen Jugendbundes einzusetzen.“ (Horst Zeller, S.88, Fußnote 191.) Dennoch ließ ihn olka nicht los, und er versuchte, sich ihm erneut über seine im bündischen eher unbekannte Literatur anzunähern. Hier erkannte Zeller einen Schriftsteller voller Sorge um die Bedingungen des Menschseins, zugleich aber auch voller Phantasie und nicht ohne Humor. Viele seiner Schriften thematisierten seine oberschlesische Heimat, nicht aus revanchistischen Motiven heraus, sondern als Brücke zwischen den Völkern.

Mit der Person olkas verdichtet sich das vergangene Jahrhundert und verdeutlicht, wie leicht ein jeder Mensch von den Strömen der Zeit erfaßt und mitgerissen werden konnte. Jürgen Reulecke kommt in seinem Aufsatz zu dem Schluß: „Jenen Nachgeborenen, die immer einmal wieder allzu undifferenziert und a-historisch Vorausgegangene pauschal verurteilen und moralisch verdammen, kann man nach dem Lesen der Aufzeichnungen olkas über seine Haftzeit in amerikanischen Lagern von 1945-1948 nur noch den im Vorwort bereits zitierten bedenkenswerten Zuruf Friedrich Nietzsches an uns entgegenhalten: ‚Ihr seid nicht klüger, ihr kommt nur später!’“ (Jürgen Reulecke, S. 86.) Und, umgedreht ergänzt von den Autoren dieses Bandes im dortigen Vorwort in Richtung ihrer Vätergeneration: „Ihr wart nicht dümmer, ihr kamt nur früher“.

Das Buch erschien unter dem Titel „Was ließen jene, die vor uns schon waren?“ Der jugendbewegte Schriftsteller Erich Scholz – olka (1911-2000) als Band 17 der Edition Archiv der deutschen Jugendbewegung im Wochenschau Verlag 2011. Das 143 Seiten umfassende Buch kostet 19,90€. Alle hier genannten Zitate stammen aus diesem Buch.


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