Worte während einer Großfahrt

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Published on: 15. Februar 2010

 

Aus dem fernen Orient erreichte uns folgender Fahrtenbericht. Da will man doch gleich selbst seinen Affen packen und auf Fahrt gehen! Wir wünschen der Fahrtengruppe noch eine herrliche Fahrt – Horridoh zurück nach Damaskus!

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von Baldur aus Damaskus

Vor acht Monaten brachen wir zur Ostlandgroßfahrt nach Sibirien auf. Seither verfolge ich nun aus der Ferne sporadisch – mit einem weinenden und einem schmunzelnden Auge – wie sich ein Bund nach dem anderen davon lossagt, was er sich einst auf die Fahne geschrieben hatte: das Streben nach einem jungen Menschen, der mit der in der bündischen Gemeinschaft erworbenen Klarheit Entscheidungen aus sich selbst heraus treffen kann, der das Wahrhafte seinen Überlegungen entnimmt und nicht den Meinungen anderer im blinden Gehorsam folgt. Aber wer nicht mit den Wölfen heult, … Ich will es als etwas hinnehmen, was uns Verbliebene auszeichnet, vielleicht gar zum Höheren gereicht. Und wenn ich an die empörten Fingerzeiger denke, dann kommen mir jene Nietzsche-Worte in den Sinn:

„Wie wenig Freude müssen doch [...] die Menschen an sich haben, wenn eine solche Tyrannei der Furchtsamkeit ihnen das oberste Sittengesetz vorschreibt, wenn sie es sich so widerspruchslos anbefehlen lassen, über sich, neben sich wegzusehen, aber für jeden Notstand, für jedes Leiden anderwärts Luchsaugen zu haben! Sind wir denn bei einer solchen ungeheuren Absichtlichkeit, dem Leben alle Schärfen und Kanten abzureiben, nicht auf dem besten Wege, die Menschheit zu Sand zu machen?“

Ich meine: laßt sie doch wettern und kümmert euch nicht darum. Viel eher gilt es das eigene Leben zu wagen, als dem Zank eine unangemessene Aufmerksamkeit zu schenken. Auch wenn er sich an uns bereichern will. Von daher möchte ich zu unseren erlebnisreichen, vergangenen Monaten einen winzigen Fensterspalt öffnen:

Wenn man Europa seit Wochen hinter sich gelassen und sich halbverdurstend den grimmigen Hunden einer mongolischen Jurte nähert, dann beschleicht einen das Gefühl, welches die Auflösung der charakterlichen Mauern anstrebt. Man wird zurückgeworfen in das Rudel der Lebendigkeiten. Hier hat das Vertraute keine Währung mehr; hier, in der Glut der Steppe, lösen sich die schwammigen Ziegel des vom aufgeklärten, europäischen Baumeister errichteten Denkgebäudes in Sand auf. Doch ist man erst der angesehene Gast in dem weißen Rundzelt, dann füllen sich die Becher der Erfahrung mit einer ungekannten Weisheit. – Es war eine Wanderung auf den Graden einer auf Steppensand errichteten Höhe aus Nomadentum und Gläubigkeit. Der Hufschlag unserer Pferde war der Takt, zu welchem jene Wochen verstrichen …

Im Norden Chinas waren wir mit dem Rad unterwegs: Auch wenn ich bisher glaubte, das Staunen sei von unserem Planeten vertrieben worden, so fand ich jene seltne Gebärde zu meiner Verwunderung in den abgeschiedenen Winkeln eines aus Lehm erbauten Dorfes. Das heißt, ich selbst konnte staunen wie das Gegenüber staunte. Es staunte über die Farbe unserer Haut, über die unserer Haare, über unsere Nasen, über unsere Wirklichkeit. Das versetzte uns ins Staunen … Später fanden wir uns in den beseelten Klostern Tibets und im Soldatenkessel von Kashgar wieder. Welche Geschenke für die anerzogene Moral!

Als dann die Kohtenbahn zur Heimstatt der Nächte in Kirgisien wurde, und das Pamirgebirge uns in den Rang eines Sandkornes verwies, als wir an der afghanischen Grenze wie Propheten empfangen wurden, geriet unsere Gefügtheit im Sein abermals auf eine schwankende Brücke. Die Verschiedenheit sowie das unvergleichbare Entgegenkommen gebaren einen Triumph über das gängelnde Denken des Westens. Allahu akbar! – Gott ist groß! – Das eröffnete sich uns nicht erst in Samarkand.

Unser Fahrtenwimpel wehte einen Mond später am Persischen Golf. Der Islam hatte gänzlich seine Tore aufgeschoben. Ja, der Iran, seine Menschen empfingen uns mit offenen Armen, mit fast kindlichen Gesten der Brüderlichkeit. Wie sehr bin ich ihnen dankbar, ob der Herzlichkeit, welche uns dort widerfuhr. Es hat nachdenklich gemacht, unter solch gottesfürchtigen Menschen zu weilen. Ihre Güte scheint ebenso groß wie ihr Gottvertrauen.

Die christliche, wenn auch weitaus kühlere Entsprechung, wurde uns im Kaukasus zu teil. Dort fanden wir nicht nur die Blaue Blume nach tagelangem Marsch durch elfenbewohnte Wälder, sondern auch die Erfüllung unserer Lieder am Schneethron des Kasbek. Seither fährt eine russische Sehnsucht mit.

Kurdistan im Irak, Nordsyrien, das Land der Assassinen, der Libanon waren unsere ersten Stationen, die wir in der arabischen Welt ansteuerten. – Wie fern sind doch die seltsamen Problemchen daheim geworden. – Die hier stets gegenwärtige Kalaschnikow spricht eine ganz andere Sprache. Darüber steht nur Gott. Das gibt mir zu denken. Sind wir doch darum in die Welt gezogen. Um dem Denken den rechten Platz zuzuweisen, um natürlich auch unsere Spuren zu hinterlassen und vor allem, um aus den gesammelten Steinen die eigene Persönlichkeit zu formen, die, um nochmals mit Nietzsche zu sprechen, „der andere mit Genuß sieht, etwa einen schönen, ruhigen, in sich geschlossenen Garten, welcher hohe Mauern gegen Stürme und den Staub der Landstraßen; aber auch eine gastliche Pforte hat.“

Weiteres wird sich finden, so Gott will – In`sha Allah …

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