von bjo:rn
Joachim Fernau wäre am 11. September diesen Jahres 100 Jahre alt geworden. Den in Bromberg geborenen, in Schlesien aufgewachsenen und am 24. November 1988 in Florenz verstorbenen Schriftsteller machten seine historischen Betrachtungen beliebt und berühmt. Als bekennender Konservativer scheute er sich nicht, bewährte Geschichtsbilder in Frage zu stellen. So machte er sich unter den „Seinigen“ sicher nicht nur Freunde, wenn er in einer einzigartigen „Bestandsaufnahme der deutschen Seele“ in seinem Buch „Disteln für Hagen“ Siegfried, den Helden des Nibelungenliedes, zum flegelhaften Raufbold erklärt. Aber auch andere geschichtliche Größen schrieb er überzeugend klein mit Hut.
In seinem Erstlingswerk „Deutschland, Deutschland über alles“ wagte Fernau einen geschichtlichen Überblick von „Arminius bis Adenauer“ und traf damit den Nerv seiner Zeit. Schließlich hatte die „Tragödie Deutschland“ erst wenige Jahre zuvor ihren letzten Akt erlebt.
„Nach dieser Ouvertüre hebt sich der Vorhang zu der Tragödie ‘Deutschland’.
Auf der Bühne sieht man, wenn man dem populären Gedicht Glauben schenken darf, Herrn Heinrich am Vogelherd sitzen, recht froh und wohlgemut. Aus tausend Perlen blinkt und blitzt der Morgenröte Glut. Dann sprengt ein Trupp Reiter heran, es sind die Herzöge der Stämme, sie schwenken die Hüte und rufen: ‘Heil, König Heinrich!’ Mit Tränen der Rührung in den Augen stülpen sie ihm die Krone auf.
Ach, meine Lieben! So war es leider ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Nichts von Vogelherd, nichts von einer Schar Herzöge, nichts von Heil. Die deutsche Geschichte begann mit einem Seufzer. […]“
„Ach, meine Lieben!“ Mit seinem vertrauten bis schnoddrigen Ton nahm er die Leser auf ihrer Suche nach Identität bei der Hand – einer äußerst glücklichen Hand für kurzweilige, gleichzeitig tiefgründige Literatur. Ganze 232 Seiten und mehr als 1000 Jahre später endet seine historische Deutschlandreise. In einem Nachtrag aus dem Jahre 1959 fand Fernau Worte, die über den Kontext des Buches hinaus Beachtung finden sollten:
„Bei der Frage, welches das wahre Gesicht einer Zeit oder einer sich anzeigenden Entwicklung ist, gilt es nicht, mit rastloser Emsigkeit möglichst viele Details und Neuigkeiten zu sammeln, wie es unsere fleißigen Pressebienchen tun. Es wohnt erst dann der geschichtlichen Betrachtung Wissenschaftlichkeit inne, wenn sie die Formeln findet und anwendet, die in der Geschichte jenseits von Zeit, Moral und Hautnähe stecken, denn das Leben bewegt sich innerhalb bestimmter Grenzen nach stets gültigen Formeln. Wie in der Mathematik ist es dann für die gleichbleibende Richtigkeit eines Gesetzes egal, ob es auf die Frage nach den Folgen der Erfindung der Armbrust oder der Wasserstoffbombe angewandt wird. […]“
Fernau: Springender Fisch