von der Hamburger Gilde Gorch Fock
Wie angekündigt möchten wir einige ausgewählte Entdeckungen unseres Semesters der Allgemeinheit zur Kenntnis geben. Ein interessantes Thema zur Rückbetrachtung des ersten Meißnerfestes 1913 war die Beteiligung der Jugend, insbesondere der relevanten Wandervogelbünde. Deren Haltung zum Fest auf dem Hohen Meißner schwankte seinerzeitzwischen Begeisterung über Desinteresse bis hin zur direkten Ablehnung. Ein ähnlicher Gefühlskanon zeichnet sich auch für die relativ früh angestrengten Erinnerungsfeste des Jahres 2013 ab.
Sieht man vom Österreichischen und Schweizer Wandervogel sowie einigen regionalen Bünden ab, die sich in kleiner Zahl auch am Jahrhundertfest auf dem Meißner beteiligten, so beschränkt sich die Wandervogelvielfalt im Jahre 1913 im wesentlichen auf drei Bünde. Zu nennen sind hier der sich im gleichen Jahr formierte Wandervogel e.V., ein Zusammenschluß des Steglitzer Wandervogels, des Wandervogels Deutscher Bund (WVDB) und mehrerer Gruppen des Altwandervogels. Daneben bestanden die Reste des 1904 gegründeten Altwandervogel und der 1910 aus diesem hervorgegangene Jungwandervogel. Wie standen diese drei Bünde nun aber zum Meißnerfest?
Am einfachsten gestaltete sich hierbei die Haltung des Altwandervogels. Da sich die auf Vereinigung drängenden Ortsgruppen lösten und sich dem gerade firmierten Wandervogel e.V. anschlossen, fand der Aufruf zu einem eigenen Fest kaum Kritik in den Reihen der Altwandervögel. Die Meißnervorbereitungen der anderen kurz erwähnend, lud die Bundesleitung unter Professor Henkel zu einem eigenen Fest nach Wöbbelin. Dort am Grabe Theodor Körners, „des gefallenen Freiheitsdichters“[1], „…weit ab von den Stätten, wo die Tausende und Zehntausende zusammenströmen… “[2], rief man den Bund zu Feldgottesdienst, Preissingen und Kriegsspiel zusammen.
Anders gestaltete es sich beim Jungwandervogel. Die sich jung fühlenden Wandervögel begeisterten sich früh für die Idee des Gemeinschaftsfestes, waren Erstunterzeichner und Mitorganisatoren, auch wenn sie die Versammlung der Freideutschen teilweise mißtrauisch betrachteten. Aus diesem Grund finden sich von den 120 Teilnehmern des Bundes nebst vielen lobenden auch viele bissige und teilweise recht hämische Rückblicke. Der Bericht vom Jungwandervogel und Komponisten des berühmten Liedes „Wir wollen zu Land ausfahren“, Kurt von Burkersroda, sei exemplarisch zitiert:
„Regenschwerer Nachmittag … Dichtgefüllte Abteile … Rostocker, Sondershäuser, Münsterer E.V.er … darmitten ein Häuflein J-W-V-Bundesführer … Werleshausen … Alles raus … Matschige Wege … dann der Hanstein. Zwanzig Pfennig Eintrittsgeld (der Idealismus bekommt einen Stoß vor den Magen) … in der Halle unten ein phantastisches, buntes Gewimmel … dann an der kleinen, engen Wendeltreppe, die nach oben führt, ein wüstes Gedränge … oben Wachposten, die eigentlich überhaupt keinen und uneigentlich nur einen von jedem Bund hineinlassen wollen! Nachdem man sich mit Mühe und Not durchgekämpft hat, wird man in einen polizeiwidrig vollen Saal zusammengequetscht! Es wirkt sonderbar, wenn man sieht, daß die kleinsten Bünde vollzählig, das heißt mit Mann und Maus, die Bankreihen füllen, und dann soll von dem größten offiziell vertretenen Bunde, dem JWV, nur ein Vertreter rein! Eine zeitlang ist nur Getümmel und Gesumme! Während dessen macht man Studien. Weiße und blaue Pludermützen, darunter rein mongolische Züge, dann wieder ausgesprochene Zwiebacknasen, fantastisch-hagere Abstinenzler- und Rohköstlergesichter mit tief in den Augen liegenden Augen. Mancherlei Fähnlein hängen müde hernieder, und ich höre, wie vor mir einer erklärt: Dort sitzen Volkserzieher, die massive Erscheinung da ist Popert, dahinten sitzen die Himbeersaftstudenten, und die Fahne mit dem Rad, das ist das Banner des Serakreises!
In verschiedenen Ecken feiert die Kleiderreform wilde Orgien mit Kitteln in allen Regenbogenfarben. Der E.V. läßt krampfhaft seine Storchnadel sehen, die anscheinend immer größere Formen annimmt. Und über all dem Mischmasch von Loden, Manchester, Bundtuch, Reformhemden, Umhängen und Touristenanzügen ein Meer von erwartungsvollen Augen, die sich auf die Festleitung richten. Beginn der Verhandlungen. Allgemeiner Hinweis auf die zarte Bauart der Burg; daher sei alles Trampeln und Hineindrängen zu unterlassen!“[3]
Zu guter Letzt der größte Bund der damaligen Zeit, der Wandervogel – Bund für deutsches Jugendwandern e.V., kurz: Wandervogel e.V., ganz kurz: „E.V.“ Auch wenn dieser Bund anfänglich selbst zum Jahrhundertfest eingeladen hatte, zog sich der Bund einige Tage vor dem Fest aus dem offiziellen Organisatorenkreis zurück – ja, man riet sogar „aus dringenden Gründen“ davon ab, am Freideutschen Jugendtag teilzunehmen[4]. Die gerade erst neu gewählte Bundesleitung unter Edmund Neundorff sah die Gefahr, daß die Wandervögel zu sehr von den anderen dortigen Gruppierungen und Persönlichkeiten beeinflußt werden könnten und dabei das Wichtigste, nämlich das Wandern, in den Hintergrund treten könnte. Da man keine separate Veranstaltung in Gedenken der Völkerschlacht plante, stand es den Wandervögeln letztlich frei, dennoch eigenständig auf den Meißner zu ziehen. Die Zugfahrkarten waren gekauft, und so trotzen viele Gruppen den Ratschlägen der Bundesleitung. Einige Gaue des „E.V.“ waren ob der Bevormundung durch die Bundesleitung so empört, daß sie sich anstelle des Bundes als Organisator eintragen lassen wollten. So war in einem Blatt im nachhinein zu lesen:
„…Der Gauleiter des Gaues Pommern hatte nach Entziehung der Unterschrift durch den Bund die Festleitung ermächtigt, unseren Gau als Mitveranstalter des Jugendtages zu betrachten und seine Unterschrift zu benutzen.“[5]
Nach groben Einschätzungen stellte der Wandervogel e.V. trotz offizieller Nichtteilnahme das Gros der Teilnehmer. Und so war es nicht verwunderlich, daß die einzelnen Gaublätter von Lobreden nur so strotzen.
Und heuer? Nachdem die fixe Idee einiger Bundesvertreter von einem Markenschutz des Erinnerungsfestes Meißner2013® geplatzt ist, bietet sich wieder genügend Raum und Zeit, darüber nachzudenken, mit welchen „Himbeersaftstudenten“ und „Zwiebacknasen“ das neuerliche Jahrhundertfest begangen werden könnte. Bei aller Unterschiedlichkeit wäre es erfreulich, wenn man 100 Jahre nach der Erhöhung des Meißners ein „buntes Gewimmel“ der allzuoft vorherrschenden Maschendrahtzaunmentalität vorziehen möge. Leider ziert auch diese Hoffnung eine „zarte Bauart“ und es ist schon jetzt recht sicher, daß es nicht nur ein Meißnertreffen 2013 geben wird.
Der nächste Gildenabend in Hamburg findet übrigens am kommenden Donnerstag statt und befaßt sich mit den Reden und Rednern des Festes. Wer lauschen möchte, melde sich gerne.