Max Habermann | Gewerkschafter & Widerstand

Von Wolfgang

In diesem Jahr, am 30. Oktober, jährt sich der Todestag von Max Habermann zum 70. Male. Geboren 1885, war er Mitunterzeichner des Gründungsaufrufes für die Fahrenden Gesellen, einer ihrer geistigen Impulsgeber, folgt man seinem grundlegenden Aufsatz im ersten Zunftbuch, kurzzeitig Bundesleiter, mit seiner DHV-Funktion Förderer des Bundes sowie seiner Bundesleiter Benno Ziegler, Fiede Schleicher und Hermann Schumacher, die ihm als DHV-Angestellte unterstanden.

Im DHV wurde Max Habermann, der gelernte Buchhändler, 1913 mit 28 Jahren Vorstandsmitglied, zunächst zuständig für Bildung und Sozialpolitik, war lange Schriftleiter der Verbandszeitschrift Deutsche Handelswacht, baute eine verbandseigene bedeutende Verlagsgruppe auf, führte sie als Aufsichtsratsvorsitzender und entwickelte sich in den 1920er Jahren zum führenden geistigen und politischen Kopf des größten deutschen Angestelltenverbandes, mit nationaler Ausrichtung, völkisch-kulturellem Antisemitismus, scharfer Abgrenzung gegen die Sozialdemokratie und Eintritt für eine unklar definierte Standesorganisation des Volkes unter einem starken Staat mit starker Führung. Trotzdem war Max Habermann Mitinitiator des Internationalen Bundes christlicher Angestelltenverbände und Vorsitzender von der Gründung 1921 bis zum Juni 1933. National war er Mitglied des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates von 1920 bis 1930. Durch seine DHV-Aufgaben hatte er engere Beziehungen zu einflußreichen Politikern, u.a. Heinrich Brüning. In der Volkskonservativen Vereinigung, einer 1930 gegründeten Partei, die der DHV finanziell unterstütze, gehörte er zum Leitungskreis.

Mit all diesen Funktionen hatte Max Habermann einen beachtlichen gewerkschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Einfluß und übte ihn auch aus. Als die NSDAP 1930 unerwartet 107 Reichstagsitze erlangte, ahnte er die Gefahr, die von dieser Partei ausgehen könnte, und versuchte vergeblich, Hitler in eine Koalition mit dem vom Reichspräsidenten abhängigen Präsidialkabinett Heinrich Brünings einzubinden und so in der Regierungspraxis durch die Macht der Fakten zu bändigen.

Max Habermann war jedoch bis 1933 kooperationsbereit gegenüber der NSDAP, beharrte aber auf der Eigenständigkeit des DHV. Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde Max Habermann im April 1933 auf deren Veranlassung von der Führung des Verbandes ausgeschlossen, erhielt Hausverbot, die DHVer erhielten Kontaktverbot mit ihm, die Gehaltszahlungen wurden eingestellt. Erst nach einem Jahr erhielt er eine gewisse Abfindung für die Gehalts- und Pensionsansprüche, die der inzwischen neunköpfigen Familie eine Zeitlang den Unterhalt sicherte.

Nach seiner Entlassung folgten zwei Jahre des Abwartens, verbunden mit der unrealistischen Hoffnung, doch wieder eine wichtige Rolle in der Angestelltenschaft ausüben zu können; denn er lehnte das NS-Regime nicht ab, sondern erhoffte von ihm den erwünschten, gegen die Weimarer Republik gerichteten politischen Neuanfang und erwartete, daß sich das Radikale des Regimes in der Praxis abschwächen werde.

Der erfundene Röhmputsch Ende Juni 1934 soll Max Habermann die Augen für das wahre Gesicht des NS-Regimes geöffnet haben, ließ Hitler doch nicht nur innerparteiliche Gegner, sondern auch führende national-konservative Politiker ermorden.

Zeitlich hier setzt hauptsächlich ein jüngst erschienener Aufsatz des Berliner Historikers Peter Rütters an über „Max Habermann und der gewerkschaftliche Widerstand. Probleme einer biographischen Rekonstruktion“, wobei es auch um die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaftern Wilhelm Leuschner (SPD) und Jakob Kaiser (Katholisches Zentrum) geht. Rütters beschäftigt sich im Rahmen seiner gewerkschaftlichen Studien schon länger auch mit Max Habermann und hat für den Aufsatz alle bisher bekannten, wenigen Quellen zusammengetragen und einige neu ermittelt. Die folgenden, teils wörtlich übernommenen Ausführungen beruhen darauf.

Bedauert wird, daß Habermann und die anderen beiden Gewerkschafter bisher keine biographische Beachtung erfahren haben, anders als die militärischen und bürgerlichen Widerständler. Von Max Habermann gibt es aber keinen Nachlaß, er hat seine Unterlagen vernichtet.

Nach zwei Jahren Abwarten mußte Max Habermann einsehen, daß er in dem Regime keine passende Stellung einnehmen kann. Er gründete ein erfolgreiches Handelsunternehmen für Papier und Bürobedarf für Großabnehmer in Hamburg und distanzierte sich so symbolisch vom NS-System. Bald zog er mit Firma und Familie nach Berlin. Wie weit die Firma dazu diente, ein Widerstandsnetz mit DHVern und anderen Bekannten zu knüpfen, ist bisher nur in Ansätzen bekannt. 1937 gab es ein Ermittlungsverfahren gegen Habermann und andere wegen Verbreitung einer kritischen Denkschrift zum Vierjahresplan. Aber ohne Zweifel hatte Max Habermann Verbindungen auch zu Personen, die er von seinen DHV-Funktionen her kannte.

Anfang 1935 nahm Max Habermann Kontakt zu Jakob Kaiser auf und beteiligte sich ab 1936 an den Diskussionen und Planungen von Kaiser und Leuschner für eine Einheitsgewerkschaft nach dem NS-Regime. Vermieden werden sollte das Konkurrieren parteipolitisch und weltanschaulich gebundener Gewerkschaften wie vor 1933. Verbindung zu den Kreisen des zivilen und militärischen Widerstands nahm der Gewerkschafterkreis 1941/42 auf und wurde eingebunden in die gesellschaftspolitischen Planungen für die Zeit nach dem NS-Regime und die Vorbereitungen für seinen militärischen Sturz. Rütters stellt fest, bisher seien folgende Fragen nicht behandelt worden:

Was machte Max Habermann als führenden Repräsentanten des antisemitischen DHV mit Frontstellung gegen die Sozialdemokraten, die Demokratie, den Parlamentarismus und die Verfassung der Weimarer Republik nun zu einem Vorkämpfer des gewerkschaftlichen Widerstandes?

Was machte ihn akzeptabel für Leuschner und Kaiser sowie für die Akteure des bürgerlichen und militärischen Widerstandes?

Auf welche gemeinsame Konzeption einer Einheitsgewerkschaft verständigten sich Leuschner, Kaiser und Habermann und welche gesellschaftspolitischen und gewerkschaftlichen Neuordnungsvorstellungen brachte der ehemalige DHV-Funktionär ein?

Diese Fragen lassen sich mit den bisher verfügbaren Quellen so gut wie nicht beantworten. Es gibt keine Aufzeichnungen, nur die spärlichen Berichte von Beteiligten und die detaillierten Aussagen Leuschners bei den Gestapo-Verhören (sog. Kaltenbrunner-Berichte).

Sicher ist, daß Max Habermann nicht ohne Einfluß war, sollte er doch neben Kaiser stellvertretender Vorsitzender der neuen Einheitsgewerkschaft mit Pflichtmitgliedschaft werden, zuständig für Finanzen, Angestelltenfragen, Schulung und Bildung. Rütters schließt, anscheinend hatten sich die drei Gewerkschafter sogar auf eine Konzeption verständigt, die nicht mehr sozialdemokratischen und sozialistischen Positionen verpflichtet war, sondern einem Staats- und Gesellschaftsverständnis, das Habermann bereits während der Weimarer Republik vertrat und das sich von deren Parteiendemokratie ebenso distanzierte, wie es vom späteren Grundgesetz entfernt war. Letzteres übrigens werfen den Widerständlern manche Historiker vor, die die Kriterien heutigen Wissens und heutiger Vorstellungen teils moralisierend auf die damalige Situation anwenden. Schließlich kamen die Akteure des 20. Juli weitgehend aus dem konservativen Lager. Um zum Inhalt des liberalen Grundgesetzes zu kommen, bedurfte es wohl erst der totalen Niederlage, der Kenntnis des wahren Gesichtes des NS-Regimes und der Erkenntnis, wohin zu viel Macht für den Staat führen kann.

Nach Rütters mag es sein, daß die starke Affinität zu autoritären Staats- und Gesellschaftsvorstellungen aus dem Versuch resultierte, in einer Umbruchs- und Übergangsphase nach dem Wechsel oder dem Sturz des politischen Regimes die Position der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer zu sichern.

Gestapo-Ermittlungsbericht über die Rolle der ehemaligen Gewerkschaften bei den Vorbereitungen für den Umsturz vom 20. Juli 1944 (Quelle: http://www.gegen-diktatur.de)

In die genauen Attentatpläne waren die Gewerkschafter nicht eingeweiht. Noch am Vormittag des 20. Juli 1944 in Berlin drängte Max Habermann in einem längeren Gespräch Generaloberst Beck zur Aktion. Auch auf einen Fehlschlag hatten sie sich weder mental noch organisatorisch vorbereitet, unterschätzten wohl die Gefährlichkeit ihrer jahrelang nicht gestörten Aktivitäten und Verbindungen zu den Attentatkreisen für das Regime. Man traf sich zum letzten Mal am 31. Juli in Berlin zu einer kleinen Feier des 60. Geburtstages von Goerdeler. Dort sagte Max Habermann:

Wir müssen uns … alle etwas ausruhen. In vierzehn Tagen wird alles vorbei sein, dann beginnt die Arbeit.“

Anfang August verließ Max Habermann Berlin und konnte sich fast drei Monate mit wechselnden Quartieren bei Freunden in Bielefeld verstecken. Einzelheiten sind nur teilweise bekannt. In dieser Zeit war die Familie in Berlin Gestapobesuchen ausgesetzt und spürte die Feindseligkeit von Mitbewohnern bis hin zur Zugangsverweigerung zum Luftschutzbunker.

Die Freunde in Bielefeld sahen ihn dort nicht mehr sicher und rieten, im anonymeren Hamburg unterzutauchen. Am 29. Oktober fuhr Max Habermann mit dem Zug Richtung Hamburg, unterbrach in Celle, um seine nach Müden evakuierte Frau dort zu treffen, wurde denunziert, verhaftet und ins Gifhorner Gefängnis eingeliefert. Dort nahm er sich in der Nacht zum 30. Oktober das Leben. Das für einen gläubigen evangelischen Christen wie Max Habermann Ungewöhnliche erklärte seine Frau 1945 so: „um nicht weitere Freunde und Mitarbeiter mit in den Tod und Gefangenschaft zu ziehen.“

Auf dem Friedhof in Gifhorn fand Max Habermann seine letzte Ruhe. Vor dem Haus seiner letzten Wohnung Ostpreußendamm 51 in Berlin-Lichterfelde erinnert auf dem Gehweg ein Stolperstein an ihn und – auch an den jüdischen Eigentümer dieses Hauses.

Info: Der Artikel erschien zuerst in “Der Fahrende Gesell” Heft 3/2014. Ein spannendes Detail zu Max Habermann läßt der Autor unerwähnt. Er war Teilnehmer des Ersten Freideutschen Jugendtages im Oktober 1913 auf dem Hohen Meißner und Sprecher der Fahrenden Gesellen auf der Vertreterversammlung in der Burgruine Hanstein.

Literatur: Peter Rütters: Max Habermann und der gewerkschaftliche Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Probleme einer biographischen Rekonstruktion. In Historisch-politische Mitteilungen der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bd.20/2013, Böhlau Verlag

 

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